.....ausgerechnet in den Prince William Sound?

Vor kurzem fragte mich eine junge Dame, warum ich denn ausgerechnet in den Prince William Sound führe. Die Antwort war eigentlich sehr einfach: Der Prince William Sound ist eine der schönsten und großartigsten Buchten Südzentral Alaskas. Unzählige schneebedeckte Berggipfel türmen sich rund um den Sound und breite Gletscher schieben sich träge in die dunklen Wasser. Wale, Seelöwen, Ottern, Grizzlys, Dallschafe, Bergziegen, Kormorane und Adler leben hier in diesem einzigartigen Lebensraum am Rande des Pazifik. Leider passierte Ostern 1989 eine Umweltkathasstrophe größten Ausmaßes. Der Öltanker Exxon Valdez havarierte in dieser Bucht auf einem Riff der vorgelagerten Insel Bligh Reef und 40 Millionen Liter Erdöl ergossen sich in die bis dahin fast unberührte Natur und bildeteten einen Ölteppich unter dem alles Leben erstickte. Nach einer einzigartigen Säuberungsaktion an der mehr als 10 000 Helfer beteiligt waren, erholte sich die Natur im Laufe der Jahre von diesem Unglück. Der Prince William Sound ist wieder zum Sinnbild einer reichen und lebendigen Natur geworden. Was gibt es schöneres für mich als mit dem Kajak diese wunderbare Landschaft zu entdecken.

 

Alaska-Tour 2006

Klaus Goerschel

Vorbereitung meiner Kayak Tour im Prince William Sound


Zur Zeit plane ich eine mehrwöchige Kajak-Tour durch den Prince William Sound, einem von zahlreichen Inseln durchsetzten und von vielen Buchten stark zergliederten Meeresbusen an der südlichen Küste Zentralalaskas. Von den Chugach Mountains im Norden und den Kenai Mountains im Südwesten schieben sich gewaltige Gletscher in die von steilen Berghängen umsäumten Fjorde. In dieser Welt von schneebedeckten Bergriesen und steil ins Meer fallenden Felswänden, aber auch von dichten Wäldern und Schilfzonen an langen Uferstränden werde ich die Küste entlang von Bucht zu Bucht paddeln und die Schönheit dieser Landschaft genießen.

Ich bin grundsätzlich allein unterwegs. Nur am Beginn der Tour werden mich meine Freunde aus Anchorage, Kris, Blain und Monique, ein Wochenende oder sogar ein paar Tage in den Sound hinaus begleiten. Ich weiß schon jetzt, dass wir wieder viel Spaß haben werden.

Für dieser Tour werde ich meine gesamte Campingausrüstung, Kochutensilien, Allwetter-Bekleidung, Expeditions Trockennahrung, sowie Navigations- und Orientierungsmittel mit der "Condor" als Standard Gepäck (2 mal 23 kg) nach Anchorage transportieren. Gegen einen festen Aufpreis nimmt die Fluggesellschaft Condor auch meinen "Einer-Faltkayak" als zusätzliches Fluggepäck ( Limit 30 kg) mit.

Die Limitierung des Fluggewichts einerseits und das begrenzte Ladevolumen des Kajaks andererseits zwingen mich zu einer genauen Vorbereitung. Ich habe deshalb meinen Kajak im Keller aufgebaut und alle für die Tour notwendigen Ausrüstungsgegenstände in wasserdichte Beutel verpackt. Seit einigen Wochen beschaffe ich die noch fehlende Ausrüstung und versuche, die Packbeutel hinsichtlich ihrer Größen, Gewichte und Farben zu optimieren und wie unter realen Bedingungen in meinem Boot "Northern Light" zu verstauen. Immer wieder heißt es Verzicht üben und aussortieren, was nicht unbedingt norwendig ist.

Für die Auswahl der Ausrüstung spielen folgende Gesichtspunkte eine Hauptrolle:

Hohe Wärmeleistung der Kleidung, da das Wasser im Sound sehr kalt ist.
Regen- und winddichte Kleidung auch für Wanderungen geeignet.
Energiereiche und schnell zu bereitende Nahrung bei kleinstem Volumen.
Sicherheitsmaßnahmen im Falle der Kenterung, Trockenanzug, Paddelfloat, usw.
Bärensichere Staumöglichkeit der Nahrung.
Bereitstellung Kartenmaterial, Tidentabellen, Marineradio f. Kanal 16, Wetterempfang

Die detaiilierten Vorbereitungen dienen letztlich dem Zweck das Abenteuer kalkulierbar zu machen. Das Wetter im Prince William Sound kann sehr wechselhaft sein. Liegt gerade noch milder Sonnenschein mit Dunst über dem Sound, so können kurze Zeit später Wolken aufziehen und ein starker Wind die Gischt über das Meer treiben. Die pazifischen Südwest Strömungen, die warme Luft vom Golf von Japan heran tragen, können schnell in Widerstreit mit kalten Winden aus der Beringsee geraten und so kann es hier auch heftig regnen. Wind und Gezeitenströmung sind häufig gegenläufig und können eine gefährliche Kreuzseen auftürmen. Lange steile Felsküsten könnten mir ein schnelles Anlanden unmöglich machen. Da ist es wichtig auf der Seekarte schnell Buchten und Landestellen zu finden.

Aber die Natur wird mich reich für die Fährnisse auf dem Wasser entschädigen. Ich hoffe Wale beobachten zu können und vielleicht hin und wieder von neugierigen Delphinen begleitet zu werden. Mein größter Wunsch wäre es aber Bären in freier Wildbbahn zu sehen. Natürlich nur in gehöriger Entfernung und unter Beachtung der Regeln für ein freies Campieren im Bärenland. Der Zeltplatz, die Kochstelle und die Aufbewahrung für die Essensbeutel sollten jeweils weit auseinander liegen. (Min. 100 m) Und wenn einmal ein Bär kommt, dann heißt es Ruhe bewahren und nicht schnell davon laufen. Darauf bereite ich mich jetzt schon mal mental vor.

Die Reise kann beginnen

Endlich am 1. Mai war es soweit. Meinen guter alter Klepper, ein Einer-Faltboot Typ Expedition, hatte ich im Keller zur Probe mit Zelt, Tarp, Schlafsack, Kleidung, Navigations- und Paddelausrüstung sowie Nahrungsmittel für 4 Wochen gepackt. Die gesamte Ausrüstung habe ich für den Fall einer Kenterung in wasserdichte Säcke verpackt. Das Gewicht verteilte ich möglichst gleichmäßig auf das Vorschiff und das Hinterschiff, wobei die schweren Bootssäcke zuunterst verstaut sind. An Deck musste ich die Ersatzpaddel, Bilgenpumpe, Schirm, Bootswagen, Bootssack und ein kleines leichtes Tischbrett verzurren. An Bug und Heck ist jeweils eine Festmacherleine befestigt. Rechts vom Sitz bediene ich das Auf- und Niederholen des Steuers. Ich bin durch eine Spritzdecke vor übergehendem Wasser geschützt. Vor mir liegt eine mit Gummis befestigte Kartenhülle in die ich die Seekarte einschiebe. An der Spitze des Einstiegs habe ich einen Silwa Kompaß schiffsmittig angebracht. Peilkompass, GPS mit farbiger Seekarte und Fernglas habe ich links von mir ständig griffbereit unter Deck. Einschließlich meiner Person ist das Boot mit ca. 150 kg beladen.

Eine Kajak-Expedition durch den Prince William Sound.

im Golf von Alaska

 

7 Wochen von Whittier nach Valdez hin und zurück durch Fjorde, Buchten und Passagen

 

© Karten, Berichte und Bilder von Klaus Goerschel

 

Rot :Meine Hinroute von Whittier nach Valdez; Grün :Rückroute von Valdez nach Whittier

Schöne Tage in Anchorage

Am Montag den 16. Mai 2006 um 11.20 startete meine Maschine von Frankfurt Flughafen nach Anchorage, Alaska. Zwischenlandung in Whitehorse, einer weit auseinander gezogenen Stadt aus Holzhäusern, Hütten und Baracken am Yukon in den Weiten der kanadischen Wildnis. Ankunft in Anchorage montags bei herrlichem Sonnenschein um 13.20 Ortszeit. Pit und Heinzjürgen, die freundlichen Deutschen, behalten meine riesigen 5 Gepäckstücke im Auge, während ich meinen Leihwagen, ein älteres Luxusmodell mit Stahlfedern abholte.

Noch am selben Tag belegte ich mein Zimmer in dem preiswerten Eskimohotel, in dem ich mich schon letzten Winter einquartiert hatte und begab ich sofort auf die Suche nach einem guten Ökoladen, in dem ich mein Getreide, Sonnenblumen und Kürbiskerne sowie Cranberrys und Rosinen kaufen konnte. Auch noch am selben Tag besuchte ich Abends Monique und Blain. Großes Hallo, freudiges Wiedersehen. Randy und Kris hatte sich auch eingefunden und nun startete eine kleine Grillparty. Natürlich war meine Tour durch den Prince William Sound Hauptgesprächsthema. Schon vor einigen Monaten war klar, Kris würde mich anfangs einige Tage begleiten. Erst vor kurzem hatte Blain angefragt, ob er er sich anschließen könne. Na klar, warum nicht. Karten wurden hervorgeholt und es wurde über Ausrüstung, Transport und den genauen Zeitpunkt, wann die Tour beginnen solle gesprochen.

Als die Nacht hereinbrach, wurde es in Anchorage sofort empfindlich kühl. Nach deutscher Zeitrechnung hatte ich mittlerweile eine Nacht verloren. Aber die Stimmung konnte nicht besser sein, als wir uns verabschiedeten.

Ich nutzte die Zeit in Anchorage um meine Tour Nahrung für jeweils 2 mal 4 Wochen zusammenzustellen, regendichte Kleidung einschließlich Gummistiefel zu besorgen sowie ein Marineradio und Seekarten zu kaufen. Während der 6 Tage meines Aufenthaltes in Anchorage herrschte am Golf von Alaska wunderbares Frühlingswetter. Milde Tagestemperaturen von manchmal über 20 Grad Celsius bescherten den Alaskanern einen ungewöhnlich warmen Mai. Wäre es nachts nur nicht so bitter kalt geworden, ich hätte meinen können Sommertage in Hamburg an der Alster zu verbringen.

Endlich am Dienstag den 23. Mai 2006 fuhr uns Blain mit seinem Toyota Geländewagen, auf dessen Dach die Boote fest verzurrt waren, nach Whittier. Ich fotografierte sogleich fleißig mit meiner brandneuen Kamera, denn kaum waren wir aus Anchorage heraus, da leuchteten uns schon die schneebedeckten Gipfel der Berge auf der anderen Seite des Turnagain Fjordes entgegen.

 

Die gemeinsame Tour zum Harriman Fjord

Am 23. Mai dienstags startete ich mit Kris und Blain in Whittier zu meiner großen Tour durch den Prince William Sound. Wir wollten die nächsten 5 Tage gemeinsam an der Westküste des Port Wells zum Barry Gletscher und zum Harriman Fjord paddeln. Blain fuhr einen weißen GfK-Seekayak, Kris paddelte mit einem zusammenlegbaren Pakboot und ich schwor auf meinen Klepper Aerius I, Expeditionsausführung, den ich mit Ausrüstung und Nahrung für 4 Wochen beladen hatte.

In Whittier herrschte strahlender Sonnenschein bei leuchtend blauem Himmel. Bevor wir unsere Boote für die Reise packten und zu Wasser ließen, setzten wir uns auf die hübsche Aussichtsplattform eines kleinen Imbissrestaurants am westlichen Ende der Marina und genossen den lauen Wind und die frühlingshafte Sonne. Der Passage Canal lag glitzernd und ruhig atmend vor uns. Jeder Gedanke an Mühsal und Anstrengung einer langen Paddeltour schien absurd. Die Welt war in diesen Augenblicken für uns heiter und mühelos und so spaßten wir herum und das Wort vom "Kaiserwetter" machte die Runde, dabei waren wir doch erst im Monat Mai und wussten alle, wie wechselhaft das Wetter im Prince William Sound sein konnte.

Am späten Nachmittag setzten wir bei wenig Wind an einer geschützten Stelle der Marina ein. Wir wollten am frühen Abend den 14 km entfernten Decision Point erreichen, von dem aus wir einen ersten freien Blick in den Prince William Sound hatten. Leider hatte ich mein Boot so vollgepackt, dass mir nichts anderes übrig blieb als als meinen Trockenanzug trotz mildem Seegang anzuziehen. Eine Tortur unter der glühenden Sonne Alaskas.

Im Passage Canal genossen wir gleich die schönste Sicht auf die Gipfel der schneebedeckte Berge und die sich steil in den Fjord stürzenden tannenbewachsenen Hänge. "Ich bin glücklich ", sagte Kris, "diesen Trip mitgemacht zu haben." Wir paddelten zügig am Nordufer des Canals nach Westen zum Ausgang der ehemaligen Gletscherbucht. Am Abend erreichten wir bei Ebbe den inneren Strand von Decision Point. Ich fühlte mich nach diesem ersten Paddeltag wunderbar. Sofort nach der Landung machte sich Kris an die Zubereitung des Abenddinners. Blain und ich wir trugen die Boote auf den Strand hinauf und holten aus dem nahegelegenem Bach unser Trinkwasser. Auf dem Weg in den Wald hinein erklärte Blain, der bei der Parkverwaltung des Forest Service arbeitet, dass die angeknabberten Blumenstengel auf die Anwesenheit von Bären hindeute. Ja, das fing ja gut an. Also kletterte Kris nach dem üppigen Abendessen- es gab Reis mit Bohnen und Chilischoten- einen Fichtenstamm hinauf um die Stange zu sichern, über die unsere Nahrung bärensicher hinaufgezogen werden sollte. Ein Ritual, dasss wir von jetzt an täglich wiederholen mussten.

Tagsüber genossen wir die herrliche sommerliche Wärme mit mehr als 20 ° Celsius, aber kaum hatte sich die Sonne dem Horizont zu geneigt, da fiel kalte Luft aus buchstäblich heiterem Himmel auf uns nieder und jeder schlüpfte so schnell wie möglich in seinen Schlafsack.

Am nächsten Morgen frühstückten wir mit steifen Fingern. Blain reichte warmen Kaffee. Welch ein Luxus, auf den ich in Zukunft werde verzichten müssen. Um Benzin zu sparen, rührte ich mein Müsli und das Milchpulver mit kaltem Wasser an. Zirren bedeckten heute den Himmel, aber schon bei der 3 km langen Überquerung des Passage Canals lösten sie sich wieder auf. Als wir die Entry Cove erreichten, war der Himmel wie leergefegt und leuchtete in tiefem Azurblau..

Herrliche Ruhe auf der Mittagsrast in der Zieglers Cove. Wir sitzen auf dem Strandkies, lehnen uns an einen angeschwemmten, völlig ausgebleichten Baumstamm und lassen uns von der Sonne wärmen und bräunen. Ganz nebenbei kreist der Lachsdip von Blain und so tunken wir geröstetes Brot ein, tun uns gütlich und lassen die Zeit an uns vorüberstreichen.

Am Nachmittag wirft Blain die Angel aus. Das Glück ist ihm hold. Er zeiht eine Flunder und einen kleineren Heilbutt aus der Tiefe der Port Wells Bucht. Am Eingang der Hummer Bay finden wir eine kleine Insel mit einem hübschen Strand und sicheren Zeltplätzen. Ich erkunde die Umgebung der Insel und sehe an einer versteckten Stelle eine Segelyacht vor Anker liegen. Man hat mich gesehen. Wenig später kommt eine zierliche Frau in einem Kajak auf unser Eiland zu gerudert. Ja, sie rudert. Wir begrüßen uns und ich sage ihr sofort, dass ich vor kurzem ein Buch von einer Frau gelesen habe, die mit einem Ruderkajak die tollsten Touren mit ihrem Mann unternommen habe. "Ja, das bin ich, Jill Fredstone." Nice to meet you, Klaus. War denn das zu glauben, da saß die leibhaftige Jill Fredstone im Ruderboot und lud uns zu einem Glas Wein auf ihre Yacht ein.

Nichts schmeckt besser als ein frisch gebratener frischer Fisch. Der Heilbutt und die Flunder zergingen auf der Zunge. Blain hatte sich als Koch bewährt und zugleich Maßstäbe gesetzt.

Nach dem Abenddinner paddelten wir zu Jills Yacht. Ein wundervolles Boot. Die Fredstones hatten sich Träume erfüllt. Jim, ihr Mann zeigte mir voller Stolz den Motorraum. Als sie aber erfuhren, dass ich vorhatte durch den Prince William Sound zu paddeln, da zeigten sowohl Jill als ihr Mann großes Interesse. Ich spürte, dass ihre eigenen Kajakabenteuer wieder in ihnen lebendig wurden. Wir verließen das gastfreundliche Segelboot um Mitternacht. Über der Bucht lag das fahle Licht der untergegangenen Sonne. Die Natur schlief, kein Adler, keine Möwen, keine Krähen, die krächzten. Doch nein, was war das? Im Sund prustete und zischte es. Zwei Wale zogen den Port Wells nordwärts. Wir horchten gebannt. Dann sahen wir, wie sie plötzlich übermütig aus dem Wasser sprangen. Es waren die schwarzweißen Orcas, auch Killerwale genannt. Unglaublich wie schnell sie unseren Blicken enteilt waren. Diesmal baute ich mein Zelt nicht auf und legte mich einfach im Biwaksack auf den Strand. Als mich die ersten Sonnenstrahlen weckten, sah ich auf dem steinigen Ufer direkt am Wasser einen stattlichen Goldadler. Er schaute majestätisch über die langsam erwachende Bucht.

Herrliches Wetter. Unglaublich! Meine Freunde sagten, dass hätten sie im Monat Mai noch nie erlebt. Wir paddelten dicht an der Küste entlang auf die Bettles Bay zu. Arctic Terns umflatterten uns, Weißkopfadler, das Wappentier der USA, krächzten in den Baumwipfeln, Schnabelenten versteckten sich sobald sie unsere Boote bemerkt hatten. Wir paddelten vorsichtig die schwarze, zerklüftete Felsküste mit ihren vielen Nischen und Spalten entlang und staunten oftmals auf wie kleinem Vorsprung sich wieder mal eine große Hemloktanne oder eine Sitkafichte angesiedelt hatten. Das Wasser schimmerte mal grün und dann wieder blau, mal kräuselten kleine Wellen den Sund und dann war es wieder spiegelglatt und die Sonne gleißte und glühte. Ich holte mir auf der Nase und den Ohren den schlimmsten Sonnenbrand, den ich je gehabt habe. Man hatte mich zwar gewarnt, dennoch wollte ich nicht so recht an die Kraft der alaskanischen Sonne glauben.

In der Bettles Bay waren wir von gewaltigen schneebedeckten Bergen umgeben, die so strahlend weiß waren, als hätte es gestern nacht Neuschnee gegeben. Um dem wunderbaren Winterschauspiel noch näher zu sein, versuchten wir das Ende der Bucht zu erreichen und bemerkten nicht, dass uns die Ebbe das Wasser aus der Bucht zog. Erst als der Seeboden zu schimmern anfing und die Steine unter uns zum Greifen nah waren, erkannten wir die Gefahr. Hier trocken zu fallen hätte bedeutet, die Boote 2 km oder mehr zum Sund zurückzutragen. Schnell paddelten wir am Nordufer aus der Bay und um das Kap auf die Hobo Bucht zu.

Heute versuchte Kris mit seiner Angel am Holzstock einen Heilbutt zu fangen. Leider hatte er wenig Glück. So gab es ein Abendessen aus Bordvorräten, wobei der Spaghettianteil zweifellos dominierte. Dennoch gehörten heute zwei Leckereien aus der Natur zum Speiseplan: Erstens, gedünstete Farnspitzen und zweitens Pudding garniert mit Cranberries, die Blain und ich auf einer Moorwiese aufgelesen hatte. "Cranberries", so erklärte er mir "seien die einzigen Beeren, die man auch nach einem überstandenem Winter noch essen könne." Und tatsächlich, die etwas weichen Beeren hatten noch ihr wunderbar bitteres Aroma.

Am Ende der Harrison Lagune sprudelte ein gewaltiger Wasserfall. Wir konnten sein Rauschen noch vorn am Eingang der Bucht hören. Hier brauste ich mich im eiskalten Wasser ab, füllte den Trinkwasserkanister und trank mich nach diesem heißen Tag satt. Man darf nicht vergessen, so verlockend klar das Wasser des Sundes auch aussah, es war doch salzig. Nur in den Buchten, an deren Ende Frischwasser einmündete, war der Salzgeschmack leicht gemindert. Heute abend sollte Monique mit dem Motorboot kommen und frische Vorräte mitbringen, vor allem aber alaskanisches Bier und eine Flasche Gin. Die kleinen Wiskeyflaschen, die Blain und ich jeden Abend kreisen ließen waren leider schon am zweiten Tag leergetrunken.

Monique kam mit ihrem Boot dicht an den Strand herangefahren und reichte sofort die Bierflaschen herüber. Wir prosteten uns zu und dann bereiteten wir ein Grillfeuer und hielten Würste an Stecken über die Glut. Kris und Blain sangen ein paar bekannte Country und Folk Songs und ich musste ein paar deutsche Seemannslieder zum Besten geben. Als die Nachtkälte wieder einmal unbarmherzig vom Himmel herniederstürzte, wärmte nicht nur das glühende Grillfeuer sondern auch der gute Gin.

Heute morgen war der Himmel mit leichten Zirren bedeckt, die sich aber im Laufe des Tages zu kräftigen Schönwetterwolken verdichteten. Kris, Monique und ich wir paddelten den Barry Arm hinauf und versuchten uns dem Cascade und Barry Gletscher zu nähern. Die Eisbrocken um mich herum knisterten und whisperten. Von den Gletschern der Chugach Mountains wehte ein heftige Brise auf uns hinunter. Das Wasser der Bucht mit den kleinen Eisbergen wogte und so musste ich vorsichtig sein, dass die scharfen Kannten des Gletschereises nicht mein Boot aufritzten. Die uns umgebenden schneebedeckten Berge wurden immer gewaltiger. Mehr als 3000 Meter reckten sie sich in die Höhe. Ich kam mir in meinem Boot, das bis auf eine handbreit in kaltem, feindlichen Wasser lag und von wogendem und ächzendem Eis umringt war, winzig vor.

Das Wetter blieb trotz der sich heftig ballenden Wolken freundlich. Wir frühstückten auf dem Motorboot und paddelten anschließend zum Surprise Gletscher. Immer wieder tat sich ein neues großartiges Panorama auf. Ganz in der Ferne leuchtete schlohweiß der Harriman Gletscher. In der Nähe des Strandes flogen die schwarzen Oystercatcher mit ihren langen roten Schnäbeln auf uns zu und lärmten und schimpften über unsere Anwesenheit mit lautem kehligem Gekrächze. Der Surprise Glacier blies uns eine steife Brise entgegen, sodass wir uns richtig vorankämpfen mussten. Der Gletscher kalbte ganze Eiswände und -säulen, die mit lautem Getöse ins Wasser stürzten und sodass die Gischt wie eine dicke Wolke hoch aufspritzte. Dann rollte ein kleiner Tsunami auf uns zu.

Wir hatten gestern noch an Bord mit Kuchen, Rotwein und Gewürztraminer unseren nahenden Abschied und die Fortsetzung meiner Kajaktour gefeiert. Nun war es soweit. 6 Tage waren wie im Flug vergangen. Ich packte sorgfältig mein Boot für die nächsten 3 Wochen, gab noch einige Sachen zur Aufbewahrung ins Motorboot zurück und studierte auf der Karte meine Route über den Barry Arm. Dann herzliche Verabschiedung: "Lass was von dir hören, be cautious, have a nice trip, it´s a long way." Oh ja, ich wurde ernst und konzentriert und winkte ein letztes Mal mit dem ganzen Paddel. Augenblicke später paddelte ich schon auf die Mitte des Barry Armes zu und war innerlich ganz auf meine Solotour nach Valdez eingestellt.

Meine Kajaktour allein nach Valdez

Kaum erreichte ich die Mitte des Barry Armes, da begann das Wasser in kleinen steilen Wellen unruhig auf und nieder zu springen. Das Boot verlor sofort seine Fahrt, schaukelte, geriet in Wirbel und war irgendwie meiner Kontrolle entzogen. Mir wurde sofort klar, dass ich in die Randzone eines kräftigen Ebbstromes geraten war. Ich paddelte sofort mit hoher Schlagzahl und äußerstem Druck und "schob mich mit Gewalt" in ruhigeres Wasser. In Skandinavien hätte ich von einem Mahlstrom gesprochen. Diese Ströme sind heimtückisch und gefährlich und ich durfte sie nicht unterschätzen.

Jetzt wurde mir deutlich bewusst, dass ich eine Solotour unternahm. Ich war allein und konnte im Falle einer Kenterung keine Hilfe von Kameraden erwarten. Hier in Gletschernähe in dem 6 bis 8° Celsius kaltem Wasser ohne Trockenanzug zu kentern, hätte zur Folge, nach spätestens 20 Minuten an Unterkühlung zu sterben. Mit meinem Trockenanzug einschließlich der isolierenden Kleidung darunter, würde ich maximal 2 Stunden überleben können. Würde ich in der Mitte des Barry Armes kentern, so müsste ich unbedingt wieder in mein Boot steigen und es leer pumpen. Zum Ufer zu schwimmen hätte wahrscheinlich zu lange gedauert. Ich war also gezwungen, gefährliche Strömungen von Ebbe und Flut, die vor allem an den ausgesetzten Kaps, hier sogenannten Points, und in den Untiefen der Fjorde über den abgelagerten Endmoränen auftreten, rechtzeitig zu erkennen.

Kartenstudium der Topografie und genaueste Kenntnisse über Zeitpunkt und Höhe der Tiden, sowie Vorraussicht, Vorsicht und Konzentration während des Paddelns waren für mich absolut notwendig und gehörten zu meiner Überlebensstrategie.

Kurz bevor ich den Pakenham Point erreichte, füllte ich in einer kleinen warmen Bucht meine Trinkwasservorräte auf und zurrte die 10 Liter auf dem Deck des Bootes fest. Ich konnte nicht sicher sein, an der Ostküste des Port Wells überall frisches Wasser schöpfen zu können. Als ich 16 Uhr bei schönem Wetter und leicht diesiger Sicht den Point erreichte, war mir bei meinem geringen Freibord über Wasser doch etwas komisch zumute. Aber es half alles nichts, ich musste mit dem sehr tief gehenden Boot den College Fjord an dieser 5 km breiten Stelle überqueren. Plötzlich kam ein Motorboot direkt auf mich zugefahren. Es waren Blain, Monique und Kris. "Klaus, have a good trip. Willst du die Reise wirklich machen? Bis Valdez ist es ein langer Weg." Es war gut gemeint, aber von meinem Vorhaben nach Valdez zu paddeln, ließ ich mich nicht abbringen und erreichte noch vor 18 Uhr nördlich des Golden Points die Ostküste des Port Wells.

Hm, verdammt frische Bärenspuren hier, dachte ich und horchte, aber alles blieb ruhig. Dann machte ich mich an die Arbeit, entlud das Boot, trug alle Packsäcke den Strand hinauf, zog auch den Klepper mit dem kleinen Wägelchen hinauf, baute das Zelt auf der höchsten Stelle des Kiesstrandes auf, bereitete mir eine kräftige Erbsensuppe mit Salami und Trockenfleisch. Zum Schluss hängte ich meine gesamte Nahrung bärensicher in einen Baum. Nach all der Schinderei genoss ich die wunderbare Stille und die Abendstimmung über der Port Wells Bay. 24 Uhr dämmerte es. Ich rollte mich in meinen Schlafsack ein und hörte dem leisen Rauschen der Brandung zu.

Tagebuch:

Dienstag, 30.Mai Heute will ich so weit wie möglich in die Esther Passage vorsstoßen. Bin richtig neugierig auf diesen schmalen, an seinen Rändern bewaldeten Kanal. Leider hat das Wetter gewechselt. Erst war es nur bedeckt, dann ballten sich dunkle Wolken zusammen. Finde am späten Nachmittag mit einlaufender Flut einen hübschen Zeltplatz auf einer Wiese. Nicht weit davon sprudelt munter ein Bach. Wieder viele Bärenspuren! Hoffentlich ist keiner in meiner Nähe! Leider beginnt es abends zu regnen und kühlt sich stark ab. Höre im Marineradio die Wettervorhersage: Morgen Regenschauer im westlichen Sund. Der Regen trommelt auf mein Zelt. Schade, aber es war doch klar, irgendwann würde diese Schönwetterperiode zu Ende gehen.

Mittwoch, 31.Mai Bei Ragged Point starker Wind aus Südost, hohe Wellen und ab und zu dicke Schauer. Paddle im Ölzeug. Der Ozean wogt in riesigen Bergen und Tälern gegen den Point. Die Küste ist felsig und oft steil. Kein Zeltplatz in Sicht. Endlich 18.30 eine nette kleine Bucht in der Nähe der Ragged Bay gefunden. Es regnet und ich kann Tarp und Zelt nur unter einem Felsüberhang aufbauen. Auch hier sehe ich wieder viele Bärenspuren. Mit größter Sorgfalt sichere ich meine Essenssäcke in einer mächtigen Hemlocktanne. Dichte Wolken, ziemliche Dunkelheit zur Mitternacht. Als ich im Zelt liege, raschelt und rieselt es um mich herum.

Donnerstag, 1.Juni Nachdem es die ganze Nacht geregnet hat, strahlt der Himmel heute morgen im reinsten Blau als wäre nicht s gewesen. Ein Weißkopfadler in einer riesenhohen Fichte neben meinem Strand krächzt und balzt um sein Weibchen. Trotzallem beobachtet er mich, denn immer, wenn ich den Fotoaparat hebe, fliegt er davon. Meine Hände sind von der Nachtkälte noch steif. Ich wärme mich in der wunderbaren Sonne. Um meinen Bärhang herum erkenne ich neue Spuren. Zertretene Pflanzen, gerupftes Moos und seltsame Vertiefungen im moorigen Untergrund. Hat mich der Bär besucht? Einen Augenblick spielte ich mit der Idee hier einen Tag länger zubleiben. Nun entschließe ich mich, sofort zu packen und aufzubrechen. Bis zur kleinen Passage in die Eaglek Bay sind es nicht 100 Meter. Nachmittags 2 Uhr lege ich von der Küste ab und paddele gemächlich zur Passage. Da sehe ich, wie ein großer Schwarzbär aus dem Wald an meiner Küste heraustritt und sich sofort daran macht, die Passage zu durchschwimmen, die ich gerade durchpaddeln will. Wegen der engen Landspitze konnte er eigentlich nur von meinem Campingstrand hierher gelaufen sein und will nun auf die gegenüberliegende Insel. Ich stoppe und fotografiere den schwimmenden Bär. Am anderen Ufer läuft er sofort den felsigen Strand hinauf und verschwindet im Gebüsch. Ich bin happy, einen Bären in seinem natürlichen Lebensraum gesehen zu haben. Gleichzeitig wird mir bewusst, dass ich vorsichtig sein muss, denn Alaska ist nun mal Bärenland.

Freitag, 2.Juni Auch im Schlaf hörte ich den rauschenden Wasserfall. Wieder wunderbar klare Morgenluft unter blauem Himmel. Ich campe in der Ohlsenbucht. Die Morgensonne gießt goldenes Licht auf die bewaldeten Berghänge der Bucht. Ich habe den Eindruck, ich läge an einem stillen, von Bergen umringten Waldsee. Dusche unter dem Wasserfall. Jetzt bin ich hellwach. Als ich über die Unakwik Inlet Bucht paddle, frischt der Wind mit 15 Knoten aus SW auf. Unangenehme Seitenwellen rollen in den Fjord. Immer wieder muss ich in die hohen Wellen frontal hineinstoßen und beim Abrollen der Wellen schnell in die Wellentälern umlenken, damit ich auf den 5km entfernten Unakwik Point zupaddeln kann. An den Küsten schwierige Suche nach einem Zeltplatz. Die meisten Strände sind eng und steil und bieten keine Stellfläche für ein Zelt oberhalb der höchsten Flutlinie. Endlich, hinter Bahia Island entdecke ich ganz überraschend eine kleine geschützte Bucht mit Blick in die Cedar Bay und die Chugach Mountains. Hier bleibe ich. Nach diesem harten Tag gönne ich mir ein besonderes Essen: Tomatennudeln angereichert mit Schinken, Pilzen, Gemüse und geriebenem Käse. Es gefällt mir hier. Morgen werde ich die Cedar Bay erkunden, dann werde ich das Zelt gar nicht erst abbauen.

Sonnabend, 3.Juni Die Nacht war bitter kalt, dicht über 0° Celsius. Gott sei Dank habe ich nicht nur meinen Primaloft-Schlafsack mitgenommen, sondern auch eine Art Biwaksack aus Polartec Pelz. Das wärmt. Leider ist die Luftmatraze am Fußteil undicht. Nicht schön, aber ich kann damit leben. Heute werde ich einen Ausflug bis an das Ende der Cedar Bay unternehmen. Die 7 km tiefe Bucht liegt so unberührt vor mir wie vor tausenden von Jahren schon . Um mich herum herrscht eine übernatürliche Stille. Nur ein paar Wasserfälle an den steilen Berghängen rauschen wie aus weiter Ferne. Auf den Klippen der hellen Felsküste hat sich ein undurchdringlicher Urwald aus Büsche und Sitka Fichten in Spalten und auf Vorsprüngen festgekrallt. Ein Seehund taucht vor mir auf, erschreckt sich ganz furchtbar und taucht schnell wieder ab. Später betrachtet er mich eine Zeit lang von hinten. Ich höre ihn schnaufen, aber als ich mich umdrehe, verschwindet er schnell wieder. Am Abend ziehen dunkle Wolken auf und zur Nacht regnet es. Unaufhörlich prasseln die Tropfen in das Erlenlaub und auf mein Tarp.

Sonntag, 4.Juni Heute herrlichstes Wetter mit leichten Winden aus unterschiedlichen Richtungen. Fühle mich wunderbar. Zügig paddle ich bei Seegang Stärke 3 an der zerklüfteten Küste entlang. Am Fairmont Point vorbei und durch die Fairmont Bucht auf den Granite Point zu. Vor diesem Kap hatte man mich besonders eindringlich gewarnt. Hier erreicht der Ozean durch den Hitchinbroke Entrance ungehindert die innere Küste des Sundes. Lokale Winde vom Columbia Gletscher prallen gern an diesem Point auf Gegenwinde vom alaskanischen Golf. Oft wogt der Ozean am Kap meterhoch auf und nieder oder Ebbe- und Flut-Strömungen können von gefährlichen Kreuzseen überlagert werden. Ich paddle in großem Bogen um den Point. Gerade kam der Wind noch aus Süd, aber hinter dem Point, wo ich mir ein wenig Ruhe erhofft habe, bläst mir eine steife Brise aus Nordwest ins Gesicht. Ich muss unbedingt ans Ufer. Es gibt hier nur wenige kleine Kiesstrände, die aber mit großen Felsbrocken durchsetzt sind. Die Ozeanwellen sorgen für eine hohe Brandung. Als ich an einem dieser kleinen, verquerten Strände anlanden will, passiert es dann. Das rücklaufende Wasser zieht mich schräg von der Seite in die nächste Brandungswelle, die über mir zusammenstürzt und mich sofort umwirft. Erst jetzt wird mir klar, dass ich heute wegen des schönen Wetters und der reinen Küstenfahrt keinen Trockenanzug angezogen hatte. Fatal. Das eisige Wasser drang sofort durch alle Kleider. Trotzdem hatte ich in diesem Augenblick keine Zeit zu sehr auf mich zu achten. Ich musste mein Boot schnellstens aus dem Sog der Brandung herausziehen, die mit unglaublicher Macht mein 80 oder 90 kg beladenes Boot auf den Strand donnerte. Ohne auf Wasser und Kälte zu achten schiebe ich mein vollbeladenes Faltboot auf den Kiesstrand und sichere es vor der Gewalt der anrollenden Wellen. Oh, das hätte böse ausgehen können. Ich streife mir die nassen, kalten Sachen vom Leib, ziehe mir trockene Wäsche an, pumpe das Wasser aus dem Boot und in einer Stunde paddele ich schon weiter in die nächste Bucht. Ein toller Strand breitet sich dort aus. Oben an den Birkenbüschen finde ich einen kleinen ebenen Zeltplatz. Das Marineradio sagt für morgen schönes Wetter voraus. Das werde ich genießen und einen Ruhetag einlegen.

Montag, 5.Juni Die Sonne brennt auf den Strand. Das Thermometer steigt auf fast 25° Celsius. Ein Geschenk des Himmels. Wäsche gewaschen, ausgebreitet und getrocknet, Boot gesäubert, Tarp aufgebaut, Schlafsäcke gelüftet und auf Photopirsch gegangen. Ansonsten habe ich die Ruhe genossen. Herrlicher Sonnenschein und ein leicht säuselnder Wind. Ich schaue wie die Eisbrocken vor Glacier Island durch die Bucht segeln. Die Möwen picken unermüdlich kleine Fische aus dem Ebbstrand der Bucht. Manchmal zanken sie sich und dann gibt es ein großes Geschreie. Eine See-Otter lässt nicht ab, ihr totes Junges wiederzubeleben. Ich beobachte sie. Es ist eine großartige Einsamkeit und dennoch fühle ich mich nicht einsam.

Dienstag, 6.Juni Herrliches Paddeln an der Westküste bis in die Long Bay. Aber je mehr ich nach Norden komme, desto kühler wird es. Immer häufiger treiben große Eisberge durch die Bay. Ab und zu höre ich, wie die Growler mit goßem Getöse zusammenbrechen. Am Slipper Point starke Strömung und kabbelige See und manchmal steile, hochaufgetürmte Wellen, die ich nur ungefähr vorherbestimmen kann. Der Bogen um diese Kaps kann gar nicht groß genug sein. Oh, wilde Long Bay. Hier sieht es aus wie vor tausenden von Jahren. Riesige dicke Zedern und Fichten, gedörrte, ausgebleichte Tannen mit abgesplitterten Ästen, stumme Zeugen vergangener Zeiten, die steilen Uferzonen aus schwarzem Basalt und manchmal Granit, als wären sie dem Magma der Erde entsprungen. Am Ende der Bucht tobt in den Chugach Mountains ein heftiges Unwetter. Die Regenschleier verdecken ganze Bergketten. Camping auf Schrader Island. Es regnet die ganze Nacht.

Mitttwoch, 7.Juni Im strömenden Regen gefrühstückt, Zelt abgebaut und Boot gepackt. Was für mich erst unvorstellbar war, funktioniert ganz gut. Man darf sich im Regen nicht unwohl fühlen, muss ölzeugartige Jacke und Hose tragen und das Tarp bis zur letzten Minute stehen lassen. Und ganz wichtig: nichts, aber auch nichts, darf einzeln verpackt werden. Für jedes Teil muss ein wasserdichter Sack existieren. Sonst ist die Gefahr etwas zu vergessen sehr groß. Außerdem lassen sich 10 Packsäcke leichter und schneller im Boot verstauen als 20 Einzelteile. Die Verführung ist natürlich groß, vergessene Teile einfach in die Lücken zu stopfen. Meine neue Bestzeit: in einer Stunde ist das Boot gepackt. Am Long Point hat es aufgehört zu regnen, aber starker Wind aus Nordost und dunkle Wolkenbänke in den Bergen. Eine lange Kette bizarrer Eisberge zieht an mir vorüber. Hinter dem Flent Point wird es windiger und kälter. Die Nähe des Columbia Gletscher ist unübersehbar. Das weißblaue Eis wogt auf schwarzem Wasser. Zerfetzte Wolken fliegen tief über die Bucht. Ich bin froh am Eingang der Granite Cove einen stillen Strand zum Anlanden gefunden zu haben, auch wenn er vom Gletscherschlamm sehr schlickig ist. Camping in der Nähe einer Bärentrinkstelle. Es geht nicht anders.

Donnerstag, 8.Juni Gestern Nacht stieg die Flut unerwartet hoch an. Ich war nicht ohne Sorge, ob sie nicht noch mein Zelt erreichen würde. Bei Ebbe war die kleine Bucht dann völlig leergelaufen und ich blieb mit meinen Stiefeln im Schlamm stecken. Heute will ich unbedingt den berühmten Columbia Gletscher sehen. Ich hatte ihn schon gestern abend mit dem Fernglas gesucht, aber nichts gefunden. Dabei hätte ich doch von meiner Küste aus direkt auf seine Zunge schauen müssen. Heute werde ich ihm entgegen paddeln. Die Fahrt zum Gletscher ist sehr malerisch. An hohen Felswänden entlang nähere ich mich der alten Endmoräne. Vom Gletscher aber keine Spur. Als ich entlang der Moräne in die Mitte der Bucht vorstoße, bin ich plötzlich von Eis umringt. Ich weiß nicht wie das passieren konnte. Ohne Gefahr kann ich durch die Brocken nicht hindurchlavieren. Ich lasse mich von der Strömung einfach nach Süden treiben. Das Tempo ist erheblich. Irgendwann lockert das Eisfeld auf und ich paddle Richtung Südspitze Heather Island. Es ärgert mich, dass ich quasi aus der Bucht heraus paddle, ohne den Gletscher gesehen zu haben. In der Heather Bay finde ich auf der Ostseite einen schönen Platz zum Campen. Das Zelt baue ich auf der höchsten Stelle einer ausgetrockneten Moorebene auf. Essensplatz mit Tarp am Strand. Die Nacht wird immer heller. Wenn es doch nicht so kalt gewesen wäre. Denn eigentlich grünt und blüht es auf der Insel wie im Frühling. Während ich diese Zeilenschreibe, höre ich wie in 6 bis 8 km Entfernung das Eis des Columbia Glacier krachend birst und ins Meer stürzt.

Freitag, 9.Juni Die Sonne schaut kalt und weiß durch einen Hof trüben Dunstes. Seltsam warm ist es, 10° Celsius und die ersten Mücken schwärmen aus. Wetterbericht warnt vor Sturm. Soll ich noch eine Extratour zum Columbia Gletscher unternehmen? Oder soll ich mich gleich auf den Weg nach Valdez machen? Der Abenteurer in mir siegt. Ich paddele mit fast leerem Boot an der Ostküste nach Norden. Schmuddeliges Regenwetter. Kurz nach Mittag erreiche ich die alte Endmoräne diesmal an der Ostseite der Bucht. Bis hierhin hat der Gletscher vor 40 bis 50 Jahren seine Zunge geschoben. Nun ist er, wie fast alle Gletscher dieser Welt, im Rückzug begriffen. Nicht langsam, nein dramatisch schnell zieht er sich in die Berge zurück. Fast 300 Meter pro Jahr. Ich besteige den schwarzen Moränenhügel und photografiere den in dunstiger Ferne liegenden Gletscher. Näher habe ich mich nicht heran gewagt, weil ich fürchte, dass schon bei einem Viertel der Ebbzeit die alte Moräne trocken fällt. Dann würde ich 8 oder 9 Stunden bei nahe Null Grad Temperaturen in der inneren Bucht des Gletschers gefangen sein. Ein gefährliches Unterfangen. Als ich zurückpaddle, muss ich durch ein Eisfeld lavieren. Der Wind treibt mein Boot gefährlich nahe an die kleinen Eisberge. Ich habe meinen Trockenanzug an. Wenn ich hier kentern würde, müsste ich mein Boot wieder aufzurichten, mit einem Paddelfloat wieder hineinklettern und das Wasser auszupumpen. Aber so weit will ich es erst gar nicht kommen lassen und paddle hoch konzentriert und jede Lücke nutzend durch das Feld der Eisberge.

Sonnabend, 10.Juni Seit gestern abend hat es ununterbrochen stark geregnet und mein Zelt steht im Wasser einer moorigen Wiese. Als ich aufstehe, regnet es immer noch. Ich bringe Schlafsäcke, Luftmatraze und Kleidung unter dem Tarp in Sicherheit. Ein Tarp gehört im Prince William Sound unverzichtbar zur Ausrüstung. Mit meinem bunten Regenschirm barfuß durch das Moor gewatet. Trotzdem ist meine Stimmung gut. Gleich breche ich auf, um weiter nach Valdez zu paddeln. Am Point Freemantel wogt mal wieder der große Ozean. Im Valdez Arm trübes Wetter, mittelhohe Wellen und ab und zu Regen. Immer die Küste nach Nordost entlang gepaddelt. Endlos! Ich esse im Boot meinen letzten getrockneten Lachs, den mir Ingrid geschenkt hatte. Eine leckere Sache. Mit Mühe finde ich an der etwas monotonen Küste einen Strand zum Campen. Den Platz für mein Zelt muss ich mir mühsam herrichten. Zur Nacht steigt die Flut mal wieder über die Maßen hoch und so bleibe ich bis 1 Uhr wach, um die endgültige Höhe besser abzuschätzen. Das Wasser hat mich glücklicherweise nicht erreicht und so falle ich in einen tiefen Schlaf.

Sonntag, 11.Juni Ein grauer Morgen! Tiefhängende Wolken, Wind und ein alles durchdringender Niesel. Trotzdem hohe Brandung. Ich stehe neben meinem vollbeladenem Boot am Strand und warte bis mich die Flut erreicht hat. Währenddesssen studiere ich die am Strand brechenden und auslaufenden Wellen. In einem Moment der Ruhe schiebe ich das Boot schnell in die ablaufende Welle und schwinge mich auf den Sitz. Nun schnell das Paddel gegriffen und fix in die See gepaddelt. Kräftiger Wind aus SW. Ich spanne meinen Regenschirm auf und lasse mich vor dem Wind die Küste entlang treiben. 16 Uhr in die Saw Mill Bay eingelaufen. Verschmähe für mein Zelt die Holzplattformen des State Marine Park. Stattdessen Camping auf weicher Wiese mit herrlichem Rundumblick. Nachts aber eine böse Überraschung. Zur Mitternacht stelle ich fest, dass die Flut höher als erwartet steigt. 1 Uhr Zelt ausgeräumt und Schlafsack, Luftmatraze, und alles andere auf eine Anhöhe getragen. Kurz vor 2 Uhr bleibt das Wasser einen halben Meter vor dem Zelt stehen. Der Kulminationspunkt ist erreicht und ich ziehe wieder in mein Zelt ein.

Montag, 12.Juni Die Saw Mill Bay ist wunderschön. Das sieht und fühlt man sogar im Nieselregen. Nach den Erfahrungen der letzten Nacht baue ich mein Zelt jetzt doch auf der im Wald liegenden Holzplattform auf. Die Parkverwaltung will mit diesem Service dem Kajakfahrer etwas mehr Sicherheit vor den Bären bieten. Denn gegessen wird am Strand und geschlafen wird im Wald und das Essen kann in einem eisernen Container deponiert werden. Erst am Abend hört es auf zu nieseln und ich paddle zu dem gegenüberliegenden Wasserfall, um Trinkwasser zu holen. Beim Abendessen hüpft ein aufdringlicher Eichelhäher um mich herum. Kia, Kia, Kia bettelt er mich krächzend an und kommt bis auf 2 Meter näher. Als ich die Kamara hebe, fliegt der Frechdachs weg.

Dienstag, 13. Juni Heute Morgen ist es mir flau in der Magengegend. Die verflixten Narrows von Valdez. An Warnungen mangelt es nicht. Doch das Wetter ist freundlich, der Wind kommt aus Südwest und ich habe die einlaufende Flut auf meiner Seite. Ideale Bedingungen. Am Potato Point ist die Welt auch noch in Ordnung. Aber schon kurz danach frischt der Wind stark auf und als ich auf der Höhe von Middlerock bin, habe ich das Gefühl ein Sturm braust mir um die Ohren. Am Potato Point paddle ich mit den schon ziemlich hohen Wellen in die Narrows. Auf der Höhe von Middlerock rollen hohe, kräftige Wellen von hinten auf mich zu und es setzt eine unglaublich starke Strömung ein. Ich fliege nur so dahin. Hinter Middlerock verschlimmert sich die Situation. Der Wind nahm nochmals an Stärke zu. Hohe, brechende Wellen rollen von hinten über mein Boot. Die Strömung reißt mich fort. Mir ist klar, dass ich unbedingt in der Mitte der Strömung bleiben muss und auf keinen Fall schräg aus dem Strömungsfluss herauspaddeln darf. In diesem Moment taucht vor mir ein riesiges Kreuzfahrtschiff auf. Es kommt aus Valdez und steuert direkt auf mich zu. Kein Wunder, denn ich befand mich in der Fahrrinne der mir entgegenkommenden Schiffe, da ich ja am Nordufer in die Choup Bay will. Mir bleibt nun nichts anderes übrig, als die ohnehin fliegende Bootsfahrt noch weiter zu beschleunigen, um mit der starken, auf das Nordufer zutreibenden Strömung, aus der Fahrrinne heraus zu kommen. Aber der Kapitän muss mich scheinbar nicht gesehen haben, denn der Luxusliner hält auch weiterhin voll auf mich zu. Ich paddle langsam um mein Leben. Vieleicht 200 Meter vor mir, kommt dann der langsersehnte Kurswechsel des Schiffes. Ich atme auf, als ich nach diesem wilden Bootsritt kurz vor der Einfahrt zur Choup Bay auf einen ruhigen Strand paddeln kann. Eine Stunde später laufe ich glücklich in die Choup Bay ein.

Mittwoch, 14.Juni Welch herrliches Wetter, ich sitze schon früh am Morgen am Strand und genieße den stahlend blauen Himmel und den Blick auf den steil ins Wasser fallenden Shoup Gletscher. Im Stillen bin ich so unendlich froh, dass ich die Narrows nun hinter mir habe. In dieser Bucht ist es nicht einsam. Gestern hatte ich die beiden jungen Lehrerinnen aus Fairbanks kennengelernt, die hier in der Bucht ihren einwöchigen Urlaub mit Kajakfahren und Wandern verbringen. Meine Nachbqarn neben mir, die "Earthwatcher" erzählen mir, sie hätten vor 3 Tagen in der Heather Bay, bei ihrer Hinfahrt zum Columbia Gletscher, ein schwarzes Kajak und einen Mann mit einem bunten Regenschirm gesehen. Das Kajak hätte wie meines ausgesehen. Natürlich war ich das. Na, das war ein Zufall und so werde ich gleich in die Familie der Earthwatcher integriert. Kelsey, der Boss, legt mir frische Äpfel und Eier auf meinen Tisch. Ich bin tief gerührt und wir kommen ins Gespräch. Da verrät er mir, dass es sein Traum sei, einmal mit dem Kajak durch den Prince William Sound zu paddeln. Nicht 3 Wochen, nein 3 Monate wolle er unterwegs sein. Kelsey beringt vor mir eine Möwe. Die Earthwatcher, zählen, beobachten und pflegen den Bestand einer Möwenkolonie, die hier in der Choup Bay auf einem riesigen Felsblock nistet. Mitarbeiter aus allen Herren Ländern helfen bei der Beobachtung der Erde. Eine gute Idee, wie ich finde. Nachmittags paddle ich zum Gletscher. Heute ist es so warm wie noch nie. Die sonst übliche kalte Gletscherbrise fehlt. Dennoch kracht es, als würde neben mir ein Blitz einschlagen. Der Gletscher kalbt, aber nicht an seiner Front zum Wasser, sondern in der Bergzone. Ganze Wände und Säulen aus blauem Gletschereis stürzen über den schwarzen Fels, zerschellen und rutschen wie Lawinen in die Tiefe. Nicht mehr lange und dieser Gletscher ist kein Tidal Glacier mehr. Er wird sich schon bald in die Berge zurückziehen. Kelsey ladet mich für abends zu einer Abschiedsfeier mit Lagerfeuer ein, weil für einen Teil seiner Mitarbeiter der Job beendet ist. Sie wollen morgen nach Hause fliegen, nach England, Argentinien und in die Mutterstaaten der USA. Das Feuer prasselt und sie sprechen darüber, was sie in der Heimat erwartet.

Donnerstag, 15.Juni Am nächsten Tag regnet es. Trotzdem unternehme ich in Stiefel und Ölzeug eine Wanderung auf Valdez zu. Der Trail strengt an, weil er über rutschige Felsen, moorige Waldstücke, frisch abgerutschte Erdmoränen, reißende Bäche und steile schräge Berghänge führt. Habe wunderschöne Ausblicke auf die Narrows von Valdez. Das weiß auch ein Weißkopfseeadler, der in seinem hohen Horst brütet und unverwandt in die Ferne schaut. Am späten Nachmittag treffe ich wieder auf meinem Zeltplatz ein. Der Wasserfall vom gegenüberliegenden Berghang rauscht so laut, als würde ein Sturm über die Bucht fegen.

Freitag, 16.Juni Regen, Regen, Regen. Voller Sorge laufe ich zum Strand und schaue, ob meine Boot nicht weggeschwemmt wurde. Aber Tarp und Boot stehen noch. Kelsey hat mir wieder etwas auf den Tisch gelegt, 2 Äpfel und eine Banane. Wahnsinns Geste, freue mich. Lerne auch seine Mutter Paddy kennen, die aus Maine gekommen ist, um ihn und seine Frau Al zu besuchen. Sehr herzliche Leute! Heute will ich nach Valdez. Im Augenblick haben sich die Schleusen des Himmels wieder verschlosssen. Da ich nur mit dem Ebbstrom die Bucht verlassen kann, muss ich bis spätestens 11.30 Uhr alles fix und fertig gepackt haben. Die Passage in die äußere Bay erweist sich als flacher und reißender, als ich erwartet habe. Um die Sandbank vor Cliff Mine muss ich einen riesigen Bogen machen. Die alte Cliff Mine, eine der produktivsten Goldminen der Region, deren Stollen aber beim großen Erdben 1964 geflutet wurden, ladet zu einem Besuch ein. Ich paddle dicht an die Küste, schaue auf die alten Hütten und setze aber gleich meine Fahrt nach Valdez fort. Gegen 17 Uhr endlich paddle ich nach mehr als 3 Wochen Outdoor-Leben und fast 300 km Fahrt in den Hafen von Valdez ein. Hurra, ein unbeschreibliches Gefühl der Freude überwältigt mich.

 

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Viel zu tun in Valdez

Als ich am Strand in der Nähe eines Campingplatzes am Sonnabend, den 17.6. 2006 anlegte, kamen einige Camper aus ihren riesigenWohnmobilen heraus und beobachteten genau jede meiner Bewegungen. Ein freundlicher älterer Herr fragte mich, woher ich käme. Als er hörte, dass ich von Whittier durch den Prince William Sound bis hierher gepaddelt sei und nun einen Campingplatz suche, bot er mir an, mich mit seinem Auto zur Reception in der Stadtmitte von Valdez zu fahren. Dort verkündete er vor allen Anwesenden laut: "Er ist mit einem Kajak von Whittier hierher gepaddelt. Ich habe gesehen, wie er unten am Strand angelegt hat." Ein Raunen ging durch den Raum und die Dame vom Dienst rief: "Wonderfull". Später merkte ich, das meine Tour ganz allgemein als eine sensationelle Tat begriffen wurde.

Ich quartierte mich auf dem Campingplatz nahe des Strandes ein und begann sofort mit dem Großreinemachen: Wäsche waschen , Zelt, Schlafsack, Decken, die Nahrungssäcke, das Boot und mich selbst reinigen. Eine Garnitur gute Ausgehkleidung mit Hose, Hemd und Jacke, die ich nur unter großer Mühe in die Spitze meines Bootes gestopft hatte, fand nun endlich ihre Bestimmung.. Der Mann aus Estland, der eine amerikanische Frau geheiratet hatte, fand mich wohl ganz passabel und schenkte mir Karten für Theateraufführungen in der Civil Hall (s.o.), wo man anläßlich des "Last Frontier Theater Congress" auch ein Schauspiel seines Sohnes uraufführte. Von nun an besuchte ich jeden Abend ab 8 Uhr das Theater. Die Atmosphäre war großartig. Obwohl ich nicht immer alles verstand, vor allem die Kunstsprache der Schauspiele machte mir Mühe, so war es doch erhebend in den Pausen über kulturelle Themen zu diskutieren, die Beiträge der Redner des Forums mitzuverfolgen und über Kurzfilme sein Urteil abzugeben. Nach den Vorstellungen zwischen 10 und 11 Uhr abends spazierte ich oft zum Hafen hinunter und schaute mir die Fischerboote, Luxusmotorboote und die Weltumsegleryachten an. Die Möwen krächzten und stritten sich und überall roch es nach Fisch. Überhaupt spielt in dem 3500 Seelenort Valdez der Fisch die wichtigste Rolle. Überall im Hafen befanden sich küchenähnliche Säuberungsspülen aus Nirosta, in denen man seinen frisch gefangenen Fisch ausnehmen und filetieren konnte. Der Heilbutt wird in Wettbewerben, aus Zeitvertreib, zum Gelderwerb und als Volksbelustigung mit allen verfügbaren Mitteln gefischt, gejagt und .....ausgerottet! Ein alter Fischer, mit dem ich mich bei meinen abendlichen Spaziergängen unterhalten konnte, klagte über den steten Rückgang der Fangquote. Kein Wunder, denn es herrschte hier eine richtige Heilbutt Hysterie.

Mein Tage in Valdez waren von morgens bis abends ausgefüllt. In den Ausrüstungsläden versuchte ich eine neue Luftmatraze, eine zusätzliche Aludecke, ein kleineres Fahrtenmesser, schnell trocknende Socken, Hosenträger für meine Ölzeughose, eine wasserundurchlässige Sitzunterlage und frische Diafilme ISO 200 zu kaufen. Man gab sich in den Läden viel Mühe mir weiter zu helfen. Aber das Angebot in Valdez war begrenzt. Nur beim "Prospector" trieb ich Hosenträger auf, schön breit und rot, wie sie von den Goldgräbern getragen wurden. Auch ein Buch über die Wetterentwicklung im Prince William Sound und das Verhalten der Bären in Alaska kaufte ich. Ansonsten war ich leider recht erfolglos. Bezüglich der Dia Filme eine schmerzliche Erfahrung, denn ich hatte, wie immer ich die Tour fortzusetzen gedachte, nur noch 4 Filme im Gepäck. Selbst eine telefonische Order in Anchorage verhalf mir nur zu einem einzigen zusätzlichen Dia-Film des heute exotischen Entwicklungstyps E14.

Auf dem Postamt überreichte mir der freundliche Beamte mein Nahrungsmittelpaket aus Anchorage. Nachdem er bemerkte, dass ich Deutscher war, unterhielt er sich mit mir ausführlich über das Münchner Oktoberfest. "Good German Beer!" Ja, ob er schon mal in Deutschland gewesen sei? Nein, aber irgendwann wird er in Deutschland Bier trinken. Die Schlange der Wartenden hinter mir hörte gut zu und wuchs. Zeit haben sie hier.

Mittags schloß ich mich der allgemeinen Heilbutthysterie an und speiste in einem Schnellimbiss goldgelb frittierten Heilbutt auf einer schmalen Pappe. Den knusprig panierten Fisch schob man dann mit der bloßen Hand in den Mund. Zum Abend bruzzelte ich mir in der Pfanne zwei wunderbar zarte Steaks und aß frischen Salat dazu. Was für ein Luxus! Ich hoffte, den Gewichtsverlust vergangener Wochen zu stoppen.

Leider regnete es in Valdez täglich 4 bis 5 Stunden. Manchmal riss die Wolkendecke auf und für 20 Minuten strahlte die Sonne. Die Menschen nahmen einen Stuhl, setzten sich vor ihre Häuser und sonnten sich. Aber dann, schoben sich urplötzlich wieder dicke dunkle Wolken vor die Sonne und durch die Stadt fegte ein kalter Wind. Die Berge waren nicht mehr zu sehen und es regnete. Die nassen Straßen glänzten und die Menschen waren in den Häusern verschwunden. Ich spannte meinen Schirm auf und setzte meine Erledigungen fort.

Letztlich entschied ich mich, nach Whittier zurück zu paddeln. Ich kaufte für diese Tour zusätzlich 1,3 kg getrocknete Cranberries, einige Schokoladenriegel mit Honig und einen faustgroßen Edamerkäse. Nebenbei las ich einiges über Großwetterlagen und das lokale Wetter im Prince William Sound. Auch über die Freßgewohnheiten der Bären und die möglichen Ursachen von Attacken, machte ich mich höchst interessiert kundig. Noch am letzten Tag besuchte ich das Heimatmuseum in Valdez und sah beeindruckende Filme vom großen Erdbeben 1964, bei dem das alte Valdez völlig zerstört wurde. Das heutige Valdez wurde erst nach 1964 weiter westlich an diesem neuen Ort aufgebaut. Man braucht nur auf die gewaltigen Berge, die Valdez umgeben zu schauen, um eine Ahnung davon zu bekommen, wie die pazifische Erdplatte mit gewaltigem Druck die amerikanische in die Höhe schiebt.

Am 21.6. 2006 brach ich bestens aufgelegt bei leicht nieseligem Regen am Nachmittag zu meiner Kajak- Rücktour nach Whittier auf.

 

Die Kajaktour zurück nach Whittier

Mittwoch, 21.Juni Obwohl es regnet, paddle ich leicht und schnell von Valdez bis Camp Bowie. Ein Tief zieht über den Prince William Sound. Nach den Erfahrungen, die ich letztes Mal in den Narrows von Valdez gemacht hatte, versuche ich diesmal, unter ungefährlicheren Bedingungen die Durchfahrt zu wagen. Wenn morgen der Kern des Tiefs den Arm von Valdez passiert, dann könnte ich sogar bei Windstille duch die Narrows fahren. Außerdem werde ich zeitlich so paddeln, dass ich am Middlerock bin, wenn die Flut ihren Höchststand erreicht hat. Ich würde keine Strömung und keinen Wind haben, das wäre ideal. Heute abend ist es kalt. Es regnet bis in die Nacht hinein. Diesmal kuschle ich mich schon früher in meinen Schlafsack. Trotz Nebel und dichter Wolken ist es in dieser Sommersonnenwendnacht taghell.

Donnerstag, 22.Juni Bei starkem Regen gefrühstückt, Zelt abgebaut und Boot gepackt. Gegen 10 Uhr hört es auf zu regnen. Kein Lüftchen regt sich, die See ist spiegelglatt. Als ich um den Range Point paddle, sind die Narrows im Dunst nur zu ahnen. Ich lege mich ins Zeug, noch 12 km bis Middlerock. Tatsächlich passiere ich um die Mittagszeit bei Hochwasser mit einlaufender Flut das Leuchtfeuer von Middlerock. Keine Strömung, keine Wellen, kein Wind. Das Boot gleitet spielend leicht über das Wasser, vorbei an steilen Berghängen von denen jetzt unzählige Wasserfälle herabstürzen. Als die Wolkendecke aufreißt, gehe ich noch vor Potato Point an Land. Nach den vielen trüben Regentagen in Valdez wärmt die Sonne nicht nur das Land sondern vor allem meine Seele. Allmählich setzt die Ebbe ein und zieht mich endgültig aus den Narrows. Hurra, diesmal war die Durchfahrt perfekt. Im Südwesten föhnig blauer Himmel mit Zirren und Schäfchenwolken. Es kommt ein leichter Wind auf. Ich kenne diese Warnzeichen und paddle kräftig Richtung Saw Mill Bay. 2 km vor der Saw Mill Bay wird aus dem leichten Schönwetterwind eine steifer Starkwind, der mir voll ins Gesicht bläst. Im Nu haben sich hohe Wellen aufgebaut. Ich komme kaum voran und muss kämpfen. Nach zwei Stunden erreiche ich völlig ausgepumpt die schützende Saw Mill Bay.

Freitag, 23.Juni Heute morgen brate ich mir 2 Spiegeleier, die ich von Valdez mitgebracht habe. Ich genieße den Leckerbissen. Gott sei Dank regnet es nicht. Mit dem Packen beeile ich mich wahnsinnig. Am liebsten würde ich heute bis Glacier Island durchpaddeln. Doch als ich aus der Bay heraus bin, muss ich gegen hohe Wellen und starken Wind kämpfen. Trotz relativ schönen Wetters, es ist leicht bewölkt, komme ich nur im Schneckentempo vorwärts. Jede vierte Welle rollt brechend über das Boot. Ich muss höllisch aufpassen, dass mich so ein Brecher nicht seitwärts erwischt. Er würde mein Boot zu Kentern bringen. Nach 8 km mühseliger Paddelei gehe ich noch vor dem Hatch Point an Land. Ein wunderschöner, langer, nach Osten geneigter Strand, an dessen landseitigem Ende ein imposanter Wasserfall ins Meer stürzt. Mir gefällt es hier so gut, dass ich für heute meinen Trip beende, auch wenn ich nicht bis nach Glacier Island gekommen bin. Für den Rest des Tages sonne ich mich und labe mich an dem köstlichen Wasser, das frisch und glasklar aus den Bergen heruntersprudelt. Zur Nacht trinke ich einen Schluck Whiskey.

Sonnabend, 24.Juni Ich habe eine gute Nacht verbracht, kein Regen, keine beängstigend hohe Flut, nur der Wasserfall rauschte und wiegte mich in den Schlaf. Leider weht ein scharfer Wind aus Ost und sorgt für eine hohe Brandung an meinem Strand. Ich lasse mich nicht beirren und packe meine Sachen für die Weiterfahrt zusammen. Möglichst effektiv will ich sein, keinen Griff zweimal, mit jedem Gang so viel wie möglich erledigen, nichts vergessen und alles sofort an die richtige Stelle verpacken. In den brandenden Wellen abzulegen heißt Nerven behalten und im richtigen Moment in das Boot springen. Es hat gut geklappt und nun paddle ich an der Küste entlang nach Point Freemantel. Manchmal werde ich von dem starken Ostwind geschoben, manchmal treibt er die Wellen seitlich auf mich zu. Ich muss gut aufpassen. 6 km lange Überfahrt durch wogende Eisfelder nach Glacier Island. Nach 2 Stunden habe ich es geschafft. Würde gerne in der hübschen Finski Bucht bleiben, aber Mücken und Fliegen fallen über mich her und ich muss flüchten. Die Growler Bay ist voller Eisbrocken vom Columbia Glacier. Finde einen schönen Zeltplatz am Rande eines Sees mit Blick auf die Chugach Mountains. Auf der Insel soll es keine Bären geben. Das beruhigt mich und so lebe und esse ich direkt neben meinem Zelt.

Sonntag, 25.Juni In der Nacht kam überraschend Wind aus Nord auf und trieb die Wellen direkt in meine Bucht. Ich schlief unruhig, weil das Wasser bis in die Nähe meines Zeltes stieg. Dann hat es furchtbar geregnet. Gott sei dank hatte ich mein Tarp über das Zelt gespannt. Fühle mich zerschlagen und beschließe, hier noch einen Tag zu verweilen. Am Nachmittag Ausflug ins Ende der Growler Bay und Wanderung zur Chamberlain Bucht an der Südküste der Insel. Am Abend laden mich Schotten zum Whiskey auf ihr feudales Motorboot ein. Von außen ein deutscher Fischkutter, von innen eine Luxusyacht mit vollendetem Mahagonyfinish. Die guten Leute befragen mich detailliert über meine Reise und können nicht verstehen wie man so weite Entfernungen und so lange Zeit mit einem so kleinen Boot und Zelt unterwegs sein kann. Irgendwie kann ich die Verwunderung nachvollziehen, denn sie leben auf einem mindestens 30 Meter langen Schiff mit mehreren Tonnen Treibstoff und Nahrungsmittel. Beim Abschied schenken sie mir ein dickes Paket tiefgefrorenen Heilbutt. Vom Whiskey leicht angeheitert, brate ich mir nach der Rückkehr zu meinem Zelt sofort 2 volle Pfannen "Halibut". Unglaublich wie gut der schmecken kann. Ein wenig erinnert es an Krebsfleisch.

Montag, 26.Juni Starke Bewölkung aber kein Regen. Ziehe nun an der Nordküste der Insel weiter nach Westen. Da komme ich auf die Schnapsidee, von einem der schwimmenden kleinen Eisberge mir für meinen eigenen Whiskey Eis abzuhacken und in die Thermoskanne zu füllen. Die Idee fasziniert mich und so nähere ich mich mit viel Umständlichkeit einem unregelmäßig zerklüfteten und gezackten Eisberg. Ich will schon nach ihm greifen, da beginnt das Ungetüm sich auf die Seite zu rollen. Blitzschnell stoße ich mich ab und kann das Schlimmste gerade noch verhindern. So ein Blödsinn, ich schüttle den Kopf über mich selbst. Brenzlige Situation am Granite Point. Wie schon auf der Hinfahrt hohe steile Wellen. Lange in der Fairmount Bay nach einem Zeltplatz gesucht. Aus der Not heraus zelte ich in einer winzigen Bucht, von der ich weiß, dass die Flut bis auf Zentimeter an mein Zelt herankommen wird.

Dienstag, 27.Juni Trotz Meeresgetöse gut geschlafen. Nicht weit von meinem Zelt eine Quelle entdeckt. Die kleine Notbucht entpuppt sich als Glücksfall. Goldene Morgensonne. Es ist hier so herrlich, dass ich am liebsten bleiben möchte. Nach all den trüben, regnerischen Tagen, muss ich ein wenig gegen ein Stimmungstief ankämpfen. Jetzt sieht alles wieder freundlicher aus. Heute möchte ich bis in das Unakwik Inlet paddeln. Anfangs herrscht Windstille und eine sanfte ruhige See. Am Eingang der Wells Bay wird es dann brutal. Wind aus Südwest und hohe Wellen, die mich oft seitlich treffen. Hinter dem Unakwik Point, der sich leider nicht von seiner besten Seite zeigt, habe ich den Wind im Rücken. Trotzdem muss ich gut aufpassen, denn die Wellen rollen von hinten über mein Boot und brechen sich. Kleinen Strand gefunden und in der Dämmerung des Urwaldes gezeltet. Hier wimmelt es mal wieder von Bärenspuren.

Mittwoch, 28.Juni Die Luft ist frisch und klar wie an einem Herbsttag. In der Ferne erhebt sich das Band der schneebedeckten Gipfel der Chugach Mountains in den tiefblauen Himmel. Ich paddle durch eine dunkelblaue See, nur wo es flach wird, wie beispielsweise an der alten Endmoräne, leuchtet das Wasser türkisgrün und ich sehe auf dem Grund die großen runden Steine der Gletschermoräne, bunte Seesterne, duftige Quallen und flitzende Fische. Gegen Mittag wird es heiß. Ein leichter Sommerwind schiebt mich an der Küste entlang nach Norden. Ein wunderbares Paddeln, ich könnte süchtig danach werden. Am Nachmittag erreiche ich die Miners Bay. Ich versuche über den Creek zum Miners Lake vorzustoßen. Doch der Fluss führt zu wenig Wasser und ich muss umkehren. Langsam wird es Abend und der Himmel bedeckt sich. Intensive Suche nach einem Zeltplatz. Bin ziemlich müde. Nördlich der Minersbay entdecke ich eine Schilfwiese am Waldrand, von der ich hoffe, dass sie nicht geflutet wird. Mir bleibt keine andere Wahl, da der nicht weit entfernte Strand schon von 4 Zelten belegt ist. Auch ein Bärtrail ist in der Nähe und es gibt Zeichen, dass er vor einigen Tagen hier gewesen sein muss. Die Kanuten aus den Nachbarzelten haben ihre Nahrung nicht weit von mir in einen schräg gefallenen Baum gehängt. Sie wollen morgen früh aufbrechen. Die Umstände zwingen mich, in Zeltnähe zu essen und auch in Zeltnähe meine Nahrung aufzuhängen. Am meisten stört mich der nach Fisch riechende Packsack. "Es muss ja nun nicht ausgerechnet hier ein Bär in der Nähe sein" , beruhige ich mich. Als es dämmert, besucht mich ein Vielfraß. Ziemlich frech wagt er sich bis auf 5 Meter in meine Nähe. Ich habe ihn eigentlich erst bemerkt als es raschelte. Beunruhigt erhebe ich mich. Da flizt er zum nächsten Baum und klettert in die Höhe. Wie ein kleiner Bär sieht er aus. An den ersten Ästen verschwindet er hinter dickem Moos und Flechten. Jetzt weiß ich, dass ich meine Nahrung nicht nur wegen der Bären aufhänge.

Donnerstag, 29.Juni Unruhig geschlafen. 3 Uhr in der Frühe aufgestanden und rausgeschaut. Oh je, um mich herum eine weiße Nebelwand. Spät aufgestanden. Nebel löst sich kaum auf. Also werde ich einen Ruhetag einlegen und erst morgen zum Meares Gletscher aufbrechen. Als ich meine aufgehängten Nahrungssäcke holen will, traue ich meinen Augen nicht. Am Bärtrail, der nicht weit vom schrägen Baum entfernt ist, in dem alle ihre Nahrung gesichert haben, liegt frischer grüner Bärshit. Den gab es da gestern noch nicht. Ich inspiziere die Umgebung genauer. Einige frisch gerupfte Moospolster liegen herum. Soviel kann ich sofort sagen: der Bär lief hier des nachts in unmittelbarer Nähe meines Zeltes vorbei. Der Gedanke lässt mich leicht erschauern. Ich beschließe, sofort zum Strand umzuziehen, wenn die Kanuten aufgebrochen sind. Nachmittags 4 Uhr habe ich die alte Stelle vollständig geräumt. Jetzt ist mehr freien Raum um mich herum und ich kann das ganze Gelände besser einsehen. Allerdings fließt ein Creek 80 Meter von mir entfernt in die Bucht. Die ersten Lachse beginnen schon in die Höhe zu springen. Ich muss mit hungrigen Bären rechnen.

Freitag, 30.Juni Des nachts oft aufgestanden und meine Umgebung beobachtet. Aber keinen Bären gesehen. Leider nieselt es heute und ist ziemlich nebelig. Dabei sah es gestern abend sehr freundlich aus. Nach langem innerem Hin und Her entschließe ich mich, trotz des miesen Wetters zum Meares Gletscher zu paddeln. Hin und zurück 16 km. Anfangs navigiere ich nach dem Kompass. Später löst sich der Nebel auf und steigt in die Höhe. Nach 2 Stunden sehe ich den Gletscher und bin tief beeindruckt. Unwirklich wie in einem Märchenland erhebt sich eine breite Eiswand über das Wasser. Obwohl die dunklen Wolken und der Nebel die Umgebung in dämmeriges Licht taucht, scheint das Gletschereis von innen her fast auf mystische Weise zu leuchten. Immer wieder kracht und donnert es. Ich versuche, mich diesem Zauberberg so nah wie möglich zu nähern, aber es wird bitter kalt und als mir die Finger steif werden, kehre ich um. Wieder an meinem Zelt muss ich leider feststellen, dass mein Fotoaparat nur mangelhaft funktioniert. Traurig und deprimierend. Morgen früh werde ich aufbrechen und den Unakwik Fjord verlassen.

Sonnabend, 1.Juli 4.30 Uhr aufgestanden, damit ich mit auslaufender Ebbe ohne große Umwege über die Moränen komme. Wolken und Nebel sind wie weggezaubert. Stattdessen ein kalter, glasklarer Morgen mit unglaublicher Fernsicht. Ich paddle quer über den Fjord auf die Ostseite des Inlets. Herrlich so in der Frühe über das ruhige, weite Wasser zu gleiten. Ab und zu kommen neugierige Seehunde in meine Nähe, schauen mir zu und tauchen wieder ab. Kurz nach Mittag erhebt sich bei vollem Sonnenschein ein kräftiger Südwest und macht mir das Leben schwer. Gegen 14 Uhr finde ich in der Nähe des Zinc Points eine geschützte kleine Bucht. Hier ist es warm wie in Griechenland. Nach den kalten trüben Tagen eine unendliche Wohltat. Leider ist bei all der Faulenzerei mein Whiskey draufgegangen.

Sonntag, 2.Juli Heute will ich es bis zum großen Wasserfall in der Eaglek Bay schaffen, 20 km ungefähr. Versuche so effektiv wie möglich zu sein und bin schon kurz nach 9 Uhr auf dem Wasser. Das gute Wetter von gestern ist wie wegezaubert. Dunkle Wolken und starker Wind aus Süd bis Südwest. Ab Point Pellew rollen die Wellen breitseits auf mich zu. Manchem Brecher muss ich durch Richtungswechsel schnellstens ausweichen. Schließlich muss ich in einer kleinen Bucht meinen Trockenanzug anziehen. Nach der Shoppe Bay wird es im Eaglek einsam und wild. Seelöwen sonnen sich auf einer Insel. Während im Sund draußen schon einige Fischerboote auf den Lachs warten, bleibt es hier ruhig. Ich paddle schräg mit der Wellenfront in die Cascade Bay. Bin gespannt was sich hinter " Largest waterfall in PWS" verbirgt. Doch, er macht seiner Bezeichnung Ehre. Nicht seine Höhe ist bemerkenswert, sondern die zu Tal stürzenden Wassermassen. Die Kaskade speist sich aus einem See und fällt in großer Breite vieleicht aus 100 Meter Höhe in die Bucht. Ein großartiges Schauspiel. Ich schieße einige Bilder und begebe mich sogleich auf die Suche nach einem Zeltplatz. Es ist unglaublich, 10 km muss ich paddeln bis ich dann endlich gegen 20 Uhr in Nähe der Derickson Bay einen schönen Platz zum Campen finde. Die abendliche Stimmung mit Blick auf die Berge um den Unakwik Peak entschädigt mich für den anstrengenden Tag. Es ist weit nach Mitternacht, als ich mich von dem großartigen Panorama löse.

Montag, 3.Juli Welch eine Veränderung. Still und eintönig grau liegen Meer und Land vor mir, als wären sie in Blei gegossen. Spüre von gestern noch eine gewisse Müdigkeit. Als ich um den Ragged Point paddle, den ich schon vor vier Wochen passiert hatte, erkenne ich deutlich, dass in der Zwischenzeit der Schnee auf den Bergen stark abgeschmolzen ist. Kurz vor der Squaw Bay entdecke ich einen hübschen Strand mit einem fantastischen Ausblick auf den Sund, die Wells Passage, Esther Island, Perry Island und viele weit entfernt liegende Inseln. Ich bin fasziniert und beschließe, trotz der frühen Mittagsstunde mein Lager aufzubauen. Leider häufen sich hier frische Bärenspuren. Langsam bin ich etwas abgestumpft und kann mich darüber kaum noch aufregen.

Dienstag, 4.Juli Größere Seepassagen von 5 bis 8 km zu paddeln werden mir langsam zur Gewohnheit. Heute muss ich die Esther Passage queren. Der Marine-Wetterbericht und die Vorhersage sprechen von variablen Winden und Seestärke 2. Letztlich ist aber die augenblickliche Wetterlage entscheidend und die ist meist stark vom lokalen Wetter abhängig. 9 Uhr glatte See und kaum Wind. Auf halber Strecke frischt es plötzlich aus Südwest auf. Kurze Zeit später bläst es kräftig aus der Esther Passage. Aus der Passage rollen hohe Wellen, ebenso aus dem Sund. Mal setzt sich der eine Wind durch, mal der andere. Heftige Kreuzseen beuteln mich. Als ich Esther Island erreiche, bläst mir zwar nur der Westwind ins Gesicht, aber ich muss kräftig gegen die anrollenden Wellen kämpfen. Nach einigen Stunden ununterbrochenen Paddelns laufe ich in die Lake Bay, in der eine Fischzuchtanstalt arbeitet, ein. Hier haben sich einige größere Fischerboote zum Lachsfang eingefunden. Heute kommt der Lachs, der Salmon Run. Große Enttäuschung über die in der Karte eingezeichneten Camping-Plattformen. Nur ein verblockter Strand, auf großer Höhe liegende Plattformen zum Zelten und ein weiter Weg, um Trinkwasser zu holen. Muss den Weg zum Wasserfall auf mich nehmen, doch dann stellt sich heraus, dass es nur gesammeltes Moorwasser ist. Die Landschaft ist exotisch schön. In einem Moortümpel blühen riesengroße gelbe Seerosen. Entschließe mich schweren Herzens zur Querung der Wells Passage. Diese 4 km lange Überfahrt ist wegen der starken Schifffahrt extrem gefährlich. Noch vor 18 Uhr bei bewegter See losgepaddelt und vor 20 Uhr auf Cullross Island gelandet. Am gefährlichsten sind die Motorbootfahrer, die mit Vollgas und einer riesenhohen Heckwelle durch den Sund rauschen.

Mittwoch, 5.Juli Nebel und Regen. Jetzt bin ich heilfroh, dass ich die Überfahrt schon gestern gewagt habe. Das Wetter kommt aus den Gletscher Regionen des Port Wells. Schon am Morgen besucht mich ein Reh mit zwei Jungen. Neugierig beäugen sie mein Boot. Als mein Photoapparat klickt, springen sie in eleganten Sätzen davon. Für die nächsten Tage plane ich die Fahrt durch die Culross Passage, Besuch der Surprise Cove und eine Tour zu den Gletschern der Blackstone Bay. Den ganzen Tag herrliches Paddeln bei bedecktem Himmel. In der Hidden Bay auf Entdeckungstour und beinahe wegen starker Strömung nicht mehr hinausgekommen. Als ich abends müde auf einen Strand zum Campen zupaddle, spaziert dort ein großer Schwarzbär am Wasser entlang. Zwei Strände weiter finde ich einen neuen Zeltplatz. Mücken und Fliegen fallen in Wolken über mich her. Gegen Mitternacht wird es kalt und der Spuk ist vorbei. Ich mache es mir bequem und genieße die "weiße" Nacht und den Blick auf die Kette der schneebedeckten Berge hinter dem Port Nellie Juan.

Donnerstag, 6.Juli Alles ist grau, der Himmel, das Wasser und die Erde. Nichts regt sich in dieser Windstille. Die morgentliche Temperatur liegt bei 16° Celsius. Diese Schwüle macht unlustig und ist schwerer zu ertragen, als eine kalte Nacht. Das Boot ist immer schneller gepackt, da meine Vorräte sichtbar geschrumpft sind. Paddle aufmerksam durch die Culross Passage, weil ich hoffe, vieleicht wieder einen Bären zu sehen. Nebenbei esse ich mit Vorliebe meine süßen, getrockneten Cranberries. Sie schmecken ähnlich bitterlich wie unsere Preiselbeeren. An der engsten stelle der Passage quere ich zur Westseite hinüber. Die umgebenden Berge hier sind weicher geschwungen und nicht so hoch. Die gezackten Spitzen fehlen und der Schnee ist fast bis auf Gipfelhöhe weggeschmolzen. Die sonst im Prince William Sound übliche Dramatik fehlt hier einmal. Ich paddle bis in den späten Abend hinein und hoffe, noch lange vor dem Peter Point ein Bucht zum Campen zu finden. Die Bucht auf die ich gehofft hatte, erweist sich als hoffnungslos überbelegt. In Zelten und unter Tarps auf dem nackten, schrägen Strand liegen zwei große Gruppen Kajakfahrer. Wir winken uns zu und ich paddle ungerührt weiter. Ein winzige Bucht, in der ich mein Zelt zwischen angeschwemmte Baumstämme klemme, wird meine Rettung. Kaum habe ich alles aufgebaut, prasselt der Regen auf mein Tarp.

Freitag, 7.Juli Im Laufe der Nacht kam heftiger Wind auf. Er peitschte den Regen gegen die Baumstämme und das Tarp. Ich hätte nicht besser geschützt sein können, als auf diesem engen verquerten Platz. Im Laufe des Vormittags klart es auf und gegen Mittag blinzeln die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke. Jetzt will ich hier nicht eine Minute länger als notwendig verweilen. Die Kanuten von der Nachbarbucht winken und paddeln an mir vorbei. 12.45 sitze ich auch im Boot und paddle auf den Split Point zu, ein Kap vor dem jedermann warnt. Das Wasser kabbelt, doch die Strömung scheint mir nicht gefährlich. Nachdem ich das Kap passiert habe, unterliege ich einem Irrtum, den ich Gott sei Dank rechtzeitig bemerke. Meiner Sache absolut sicher, halte ich den Eingang zur Canal Passage für den Eingang zur Cochrane Bay. Da ich aus schräger Sicht auf die gegenüberliegende Surprise Cove schaue, habe ich die beiden Küsten nicht scharf auseinander gehalten und so die Cochrane Bay schlicht übersehen. Ich paddle also auf die Hauptschiffahrtsrinne nach Whittier zu. Erst als neben mir ein großes Fischerboot auftaucht und das gewaltige Fährschiff von hinten auf mich zu steuert, ändere ich gezwungenermaßen meinen Kurs und korrigiere den Fehler. Ein Blick auf den Kompass und die Sache ist bereinigt. In der Surprise Cove keinen akzeptablen Zeltplatz gefunden. Am späten Abend den Blackstone Point gerundet und in die gleichnamige Bay gepaddelt. Müde und enttäuscht paddle ich bis in die Mitternacht, ehe ich auf der Nordseite der Bay einen Zeltplatz finde. Halb drei nachts kann ich endlich die Augen schließen.

Sonnabend, 8.Juli Die Blackstone Bay hat ihr eigenes Klima. Ich genieße den freundlichen Morgen mit blassem Himmel, zaghaftem Sonnenschein und leichtem Wind. In den mächtigen, steil in die Bucht fallenden Bergen liegt noch Schnee bis zur Baumgrenze. Fast der ganze südliche Teil der Bucht ist vergletschert und das spürt man ganz deutlich an den niedrigen Temperaturen. Ich bin froh darüber, denn Moskitos und Fliegen scheinen sich hier nicht wohl zu fühlen und so bleibe ich von Attacken verschont. Für die nächsten Tage werde ich mir weiter südlich in der Bucht einen festen Standplatz suchen und von dort aus Touren zu den Gletschern unternehmen. So ganz allmählich nähert sich meine Reise auch ihrem Ende. Doch mein Outdoor Leben gefällt mir so gut, dass ich nur mit Wehmut daran denke, in ein paar Tagen in Whittier zu sein und sagen zu müssen: "Es war eine wunderbare Reise". Nach einigen Stunden gemütlichen Paddelns finde ich gegenüber Willard Island an einer langgestreckten Kiesbarre einen schönen Zeltplatz unter hohen Bäumen. Nun bin ich den Gletschern so nahe, dass ich von meinem Strand aus den Blackstone Gletscher erkenne. Ich fühle mich auf der kleinen Halbinsel sehr wohl. Einen Bärentrail und sonstige Bärenspuren kann ich nicht erkennen. Nur aus der Richtung des Ripon Gletschers, der sich hinter dem Eiland den Berg hinunter schiebt, kracht und poltert es die ganze Nacht.

Sonntag, 9.Juli In aller Ruhe mein Kornmüsli gefrühstückt, diesmal mit einer Extraportion Cranberries. Ein eiskalter Morgen! Muss mir eine dicke Jacke anziehen. Beim Löffeln werden mir die Finger steif. Dicke Wolkenbänke im Norden, aber über den Gletschern nur Zirren und ein paar Schäfchenwolken. Wenn es so bleibt, wird es ein schöner Tag. Am späten Vormittag breche ich mit minimal ausgerüstetem und deshalb leichtem Boot auf und paddle an der Ostseite als erstes dem Beloit Gletscher entgegen. Ich habe es nicht eilig und betrachte mir genau den Lawrence und Marquette Gletscher. Sie fallen ziemlich steil die Berge hinunter, erreichen aber nicht mehr das Wasser der Bucht. Auf ihren zerklüfteten Oberflächen hat sich eine Menge Geröll angesammelt, sodass die Gletscher dunkel und schmutzig wirken. Der noch höher gelegene Tebenkof Gletscher, schiebt nicht mehr genug Eis nach und so ziehen sich die Gletscher wie abgekämpfte Drachen in die Berge zurück. Ganz anders der Beloit Glacier. Weiß und frisch schiebt er sich kraftvoll und beweglich wie ein Raupe den steilen Berg hinunter in die Bucht. Schon bald bin ich von Eisbrocken umringt, die jetzt in der Sonne glitzern und leuchten. Der Gletscher gibt so viel Frischwasser frei, dass ich richtig gegen die Strömung ankämpfen muss. Einen Augenblick halte ich inne, weil ich plötzlich daran denke, wie hoch die Tsunami Welle wäre, wenn die recht brüchig aussehende Vorderfront ins Wasser stürzen würde. Ich denke den Gedanken nicht zu Ende und paddle nun zum Blackstone Glacier. In der kleinen Mittagspause am Strand begegne ich einem französischem Paar. Sie reißen die Augen weit auf und wollen nicht glauben, dass hier ein Mensch aus dem Nichts auftaucht. Ein netter Plausch und dann paddle ich hinüber zum Blackstone. Der Gletscher schiebt eine gewaltige Eisfront ins Wasser, aber an seiner rechten Seite fällt ein schwarzer Fels so steil ins Meer, dass ihn das Eis nicht bedecken kann. Daher der Name "Blackstone". Hier in der Bucht von allen Seiten von gewaltigen Gletschern umgeben, fühle ich mich klein und winzig. Als ich wieder zu meinem Zelt zurückpaddle bin ich dankbar, dasss ich das Wirken der Natur so nah beobachten durfte. Ob dieser Gletscher in einigen Jahren überhaupt noch existiert ist sehr fraglich. Zum Abend sammle ich Holz und zünde mir ein Lagerfeuer an. Es lässt sich so schön träumen, wenn ich in die Flammen schaue.

Montag, 10 Juli Heute lege ich einen Ruhetag ein. Ich brauche diesen Tag, weil ich mich nun damit auseinandersetzen muss, dass meine Tour in zwei Tagen beendet sein wird. Ich will es nicht wahrhaben, aber es ist so. Also Zähle ich mein Geld, wasche unter schwierigen Umständen meine Wäsche und sichte meine verbleibenden Nahrungsmittel. Als ein kleines Trostpflaster gönne ich mir eine Extra-Tomatensuppe. Dann nehme ich mein Tagebuch und ziehe Bilanz. Hier die wichigsten Punkte.

Was mir besonders gefallen hat:

Es war einfach herrlich, jeden Tag im Prince William Sound paddeln zu können. Es hat mir Spaß gemacht in der freien Natur, mit einfachen Hilfsmitteln und im Zelt zu leben. Ich liebe und achte die unberührte Wildnis und die Lebenswelt der darin lebenden Tiere. Die extreme und schöne Landschaft des Prince William Sounds am Golf von Alaska hat mich tief beeindruckt. Und last not least habe ich die Freiheit, die ich auf meiner Reise hatte, genossen und als ein ganz besonders kostbares Gut schätzen gelernt.

Was ich auf der Reise in Kauf nehmen mussste:

Das Alleinsein war meist dann bedauerlich, wenn die Reise am schönsten war. Der Arbeitseinsatz war aufgrund meines Alleinseins ziemlich hoch. Das Essen musste immer eingeteilt und rationiert werden. Oftmals war meine Wäsche feucht und trocknete nicht.

Fazit: Die Kajaktour durch den Prince William Sound war eine gelungene Expedition und ein herrliches Erlebnis.

Dienstag, 11.Juli Es regnet. Die Berge und Gletscher sind in Wolken und Nebel verhüllt. Heute breche ich auf und werde bis zum Decision Point paddeln. Da die Ebbe besonders tief ist, muss ich warten. Ein paar Oystercatcher schimpfen mit mir, als wäre es langsam an der Zeit, dass ich hier endlich verschwinde.

Mittwoch, 12.Juli Ruhige Nacht am Decision Point. Als ich mich auf den Weg nach Whittier mache, scheint die Sonne und die See atmet ruhig. Eine halbe Stunde später wird der Himmel azurblau und durch den Passage Canal rast ein böser "Mistral". Kämpfe ernsthaft gegen Wind und Wellen. Ausgerechnet in dieser schwierigen Situation kommen einige Schiffe auf mich zugefahren und machen mich darauf aufmerksam, dass ich von der Küstenwache gesucht werde. Meine Freunde in Anchorage hatten mich als überfällig gemeldet. Noch 4 Stunden musste ich meine letzten Kräfte mobilisieren, bis ich gegen den Wind mit Böen in Sturmstärke und hohe Wellen, die mich immer wieder überrollten, in Whittier pudelnaß aber wohlbehalten einlaufen konnte.

 

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