Donnerstag, 10. Mai
26. Tag Start 12 Uhr Leon, Ankunft 18 Uhr Astorga, 58 km
Weg: Leon Kathedrale, auf N 120 nach Astorga
Schon 6 Uhr aufgestanden und mich mucksmäuschen still fertig gemacht. Die Kölner Jungs wollte ich nicht wecken. 7 Uhr verließ ich die Pilgerherberge und lief, das Fahrrad schiebend auf die Innenstadt zu. Nun öffneten allmählich auch die Cafes. Ich setzte mich an den Tresen einer Bar und bestellte einen kleinen schwarzen Kaffee mit einem Hörnchen. Nur eine Leckerei, bei der ich einen Augenblick lang vergessen wollte, dass ich mich noch auf den mühsamen Pilgerweg machen musste. Mir gefiel es in Leon so gut, dass ich am liebsten hier geblieben wäre.
Der Platz vor der Kathedrale schimmerte im rötlichen Licht der Morgensonne. Es war kühl aber nicht kalt. Ein herrliches Gefühl so in der Frühe, durch die Stadt zu flanieren. Gleich werde ich mir in aller Ruhe die Kathedrale anschauen und einen Ort der Besinnlichkeit finden. Auf einmal wurde mir bewusst, als Pilger privelegiert zu sein. Mir war klar, dass ich etwas Besonderem teilhaftig werden durfte. Die gotische Kathedrale von Leon ist ein Meisterwerk spanischer Baukunst. Entstanden im Schutz der Jakobuswallfahrt ist sie auch heute noch ein wichtiger Haltepunkt für die Pilger. Wer sie betritt, wird sofort von dem mystischen Licht der vielen hohen Kirchenfenster und Rosetten gefangen genommen. Das ist einzigartig und auch ich konnte mich nicht ihrem Bann entziehen. Ich dankte für den bisherigen Verlauf dieser Pilgerreise und hatte wieder das Gefühl, von guten Mächten umgeben zu sein.
Gegen Mittag lief ich immer der Jakobsmuschel nach dem Ausgang der Stadt zu. Der Weg leitete mich weiter an der Basilika San Isidoro, der ich einen kurzen Besuch abstattete, und dem Regierungsgebäude vorbei zum ehemaligen Kloster San Marcus. Unübersehbar, die Symbole des Pilgerwegs, allen voran die Jakobsmuschel an der Außenfassade der Klostermauer.
Als ich über die Brücke des heiligen Markus gehe, komme ich an einem Musikanten vorbei, der auf der Gitarre ein altes spanisches Meisterstück spielt. Die getragene, langsam voranschreitende Melodie, die schlichte Folge der Harmonie und die Ernsthaftigkeit des Vortrags nahmen mich gefangen. Ich gab dem Gitarrenspieler wahrscheinlich eine ganze Tageseinnahme und war hinterher glücklich, weil er sich so unbändig freute.
Wie im Trance schob ich mein Fahrrad durch die endlose Vorstadt. Als ich die N 120 erreichte und damit auch das offene Land blies mir der Wind entgegen, scharf wie ein Mistral. Dazu ein azurblauer Himmel und eine brennende Sonne. In der Ferne Wolkenstreifen wie bei einem Föhn. Ich stieß auf zwei Pilgern mit ihren Rädern, die eine kurze Rast einlegten. Einer sagte zu mir: "Ganz schön schwer beladen." Ja", antwortete ich und fügte an, "ganz schön heftiger Wind." Sie nickten und sagten: "dann wolln wir mal" und schwangen sich auf ihre Räder. Ich fuhr in ihrem Windschatten eine Strecke mit. Als ich am Berg an die Spitze ging, ließen sie abreißen. Nun kämpfte ich allein gegen diesen wütenden Wind. Wenn mich einer dieser riesigen LKW´s überholte, dann presste mich die Druckwelle fast in den Graben. Doch einmal übte der Lastwagen einen Sog aus. Da wurde ich helle wach, verließ den Seitenstreifen und setzte die Fahrt auf dem geschotterten Camino neben der Straße fort.
Ich hatte schnell Astorga erreicht und suchte sofort die städtische
Pilgerherberge auf. Auf dem Rand eines Hochplateaus gelegen, konnte man von
der überdachten Terasse aus, auf die Dächer der Unterstadt schauen.
Maria, trug mich in ihr Hausbuch ein, doch als sie meinen Pilgerpass sah,
da entfuhr es ihr, dass sie noch niemals in ihrem Leben außerhalb ihrer
Heimat gewesen wäre. Ja, ich glaube, das Fernweh hatte sie gepackt. Oskar,
der deutsche Wirt kam hinzu und lud mich zum Abendessen ein. Später saßen
wir alle andächtig an einem Tisch und aßen Kuskus. Hauptthema war
natürlich der Camino. Man befragte mich, ob ich als Fahrradfahrer überhaupt
Kontakt mit den Leuten bekommen könnte. Mehr als genug, versuchte ich
ihnen klar zu machen. Das hinge stark von jedem selber ab. Dann erzählte
Oskar wie er dazu gekommen war, diese Herberge zu betreiben. Nach dem Theologiestudium
sei er in Spanien hängen geblieben. Es gefiele ihm hier außerordentlich
gut. Seine 1 Liter Flasche Brandy kreiste, während er erzählte.
Irgendwann müssen sie aufgestanden sein, um zu Bett zu gehen. Ich habe
das nicht mitbekommen. Der Brandy hat einfach mal wieder so gut geschmeckt.
Freitag, 11. Mai
27. Tag Start 8.30 Astorga, Ankunft 17.30 Cacabelos, 80 km
Weg: Astorga, auf dem Camino Murias de Rechivaldo, auf Landstraße 142 Rabanal del Camino, Foncebadon, Acebo, Molinaseca, Ponferada, auf 713 Cacabelos Pilgerherberge
Außer mir schliefen in dem Zimmer noch zwei Deutsche, eine Frau und ein Mann, beide mittleren Alters. Wie ich später heraus fand, ein Ehepaar, das nach Santiago pilgerte. 6 Uhr, es war noch dunkel, standen wir alle auf und machten uns fertig. Sowohl der Mann als auch die Frau knurrten und murrten vor sich hin. "Die Packerei stinkt mir ja ganz gewaltig. Jeden Morgen derselbe Mist", maulte er, während er seine Sachen in den Rucksack ein und wieder aus packte. Mir wurde es zu bunt und ich sagte ihm, er dürfe sich da nichts bei denken. Einfach nur schlicht packen! Jetzt war der Mann still und überlegte, wo er was hinstopfen sollte. Zur gleichen Zeit meckerte seine Frau: "Jedes mal das gleiche, ich krieg diesen verdammten Schlafsack nicht in den Beutel." Sie hatte ihren Schlafsack fein säuberlich zusammen gerollt und versuchte nun erfolglos, das Bündel in den Beutel zu bekommen. Da nahm ich ihr den Schlafsack aus den Händen und stopfte ihn unaufgerollt vom Fußende her in den Beutel. Die Frau schaute mir zu und bedankte sich vielmals. "Das habe ich gar nicht gewusst", sagte sie zum Schluss. Damit war für mich die Angelegenheit erledigt und die Stimmung unter den Beiden war gut.
In Astorga war es 7 Uhr morgens noch menschenleer. Der Himmel war bedeckt, dennoch war es nicht so kalt. Ich schob mein Fahrrad durch die Innenstadt und suchte nach einer Bar, um einen Kaffee zu trinken und ein Sandwich zu essen. Da plötzlich hörte ich es hinter mir rufen. Die Frau, der ich in der Herberge den Schlafsack gestopft hatte, lief außer Atem auf mich zu und fragte mich, ob das mein Handy sei. Ich bekam einen gewaltigen Schrecken. Tatsächlich hielt sie mein Handy in der Hand. Ich war noch sprachlos, da sagte sie: "Das hat unter ihrem Bett gelegen." Ich dankte ihr vielmals. "Ist schon gut." sagte sie nur, obwohl sie durch halb Astorga gelaufen war.
Dankbar radelte ich auf dem Camino aus Astorga. Drohende, dunkle Wolken hingen
tief über dem flachen Buschland. Jeden Augenblick konnten dicke Tropfen
auf die ausgedörrte Ebene fallen. Ich fuhr auf dem schnurgeraden Weg
an der langen Reihe der Pilger vorbei. Buen Camino, ertönte es von allen
Seiten. Nach Rabanal del Camino stieg es in die Berge der Maragateria hinan.
Die kühle Luft der Berge, die Abgeschiedenheit und Ruhe, das alles tat
so unendlich wohl und es überkam mich eine fast mystische Freude auf
dem Camino zu sein. Hinter der Kirche warf ich einen letzten Blick zurück
in die Bergwelt um Astorga und dachte: "Das ist dein langer Weg nach
Santiago. In wenigen Tagen wirst du am Ziel sein."
Kurze Zeit später traf ich die beiden Radfahrer mit denen ich ein kurzes
Stück hinter Leon zusammen geradelt war. Ingo und Kurt kamen aus Norddeutschland
und haben ihre Pilgerschaft auf dem Rad in Biaritz begonnen. Wir fuhren gemeinsam
auf den Rabanal Pass (1500 m) und wenn ich auch keinen konkreten Stein von
zu Hause mitgebracht hatte, so lud ich doch am Eisernen Kreuz symbolisch die
Last ab, die ich noch in meiner Seele trug. Ich gedachte meiner Mutter und
und ihres mühsamen Lebensweges in den letzten Jahren. Die Wolkendecke
hatte sich wieder zugezogen und über Büsche und Heide wehte ein
kalter Wind.
Das gewaltige Bergmassiv trennte das Land der Maragateria vom El Bierzo. In atemberaubendem Tempo fuhr ich die gewundene Passstraße hinunter nach Acebo. In Ponferrada holte ich mir in der Herberge, in deren Hof die Pilger apathisch auf ihren Rucksäcken hockten und auf ein Lager warteten, einen Stempel. Sie hatten alle noch Stunden des Wartens vor sich. Ich brach wieder auf und verirrte mich leider im Labyrinth dieser unübersichtlichen Stadt, in der es meist steil bergauf oder bergab ging. Eine Pilgerin, die sich auch verlaufen hatte, sagte zu mir: "Ich kann nicht mehr", und dabei weinte sie fast. Ich machte mich auf den Weg zurück zur mittelalterlichen Burg des Templerordens, ein düsteres Bauwerk der Kreuzritter, um den Weg auf der 713 nach Villafranca del Bierzo zu finden.
Auf der 713 herrscht um die späte Nachmittagszeit mörderischer Verkehr. Schon in Cacabelos gebe ich den Gedanken auf, heute noch nach Villafranca zu gelangen und gehe in die Herberge direkt neben der Kirche. Wie die Umkleidekabinen einer Badeanstalt sind hier Schlafräume für je zwei Personen um die Kirche herum aufgereiht. Im großen Innenhof sitzen Pilger auf langen Steinbänken, essen oder unterhalten sich. Mit Roger, dem Engländer führe ich ein interessantes Gespräch über den Einfluss der EU auf die Staaten Europas. Später kam Adelheid, die Radpilgerin, dazu und ich ging mit ihr zusammen in die Stadt, um zu Abend zu essen. Nach längerem Suchen fanden wir ein Hinweisschild auf ein Lokal, mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass hier ein Pilgermenu serviert werde. Aber der etwas lahme Kellner klärte uns auf, das Schild sei noch vom letzten Jahr, Pilgermenues gäbe es hier nicht mehr. Wir bestellten irgendetwas und Adelheid erzählte, dass sie schon vor 9 Jahren eine Pilgerreise nach Santiago gemacht habe. Damals habe sie von Freiburg bis nach Santiago 3 Wochen gebraucht. Eine stramme Leistung, alle Achtung. Adelheid fotografierte nicht, sondern zeichnete ihre Eindrücke in ein dickes Tagebuch. Es waren wunderschöne Zeichnungen, die den Eindruck auf dem Camino oft treffender wiedergaben, als eine Photographie.
Wieder zurück in der Herberge freute ich mich auf mein Zweibettzimmer.
Endlich einmal keine Massenunterkunft. Leider waren die Holztrennwände
so dünn wie Pappe und ich konnte das Schnarchen eines Mannes einige Zimmer
weit von mir entfernt so deutlich hören, als läge er neben mir.
Sonnabend, 12. Mai
28. Tag Start 7 Uhr Cacabelos, Ankunft 17.30 Sarria, 92 km
Weg: Cacabelos, auf Camino Villa Franca del Bierzo, auf N IV a Pereje, Cebreiro Pass, Poio Pass, Tricastela, LU 634 Samos, LU 633 Sarria Pilgerherberge
Ohne zu frühstücken brach ich 7 Uhr Morgens auf und fuhr erst auf der Landstraße und dann auf der Piste durch reizvolle Weinberge nach Villafranca del Bierzo. Hier wollte ich einen Kaffee trinken, bin aber aus irgendwelchen Gründen wieder mit hungrigem Magen aus der Stadt heraus gefahren. Lustiges Wiedersehen auf der N IVa mit Ingo und Kurt. Unsere Begrüßungsformel: "Da denkt man an nichts Böses und wen trifft man." Wir radeln gemeinsam weiter nach Pereje und kehren dort in ein kleines Cafe ein. Der Ort ist geradezu lausig klein und unschön, aber der weiß Gott nicht reichhaltig belegte Sandwich kostete 5 EUR. Ich schluckte und aß, schwor mir aber, das nächste Bocadillo selbst zu belegen.
Nach der kleinen Jause kämpften wir uns auf der Landstraße den Cebreiro Pass hoch. Der Camino schlängelte sich oft nur als Pfad die Berge hinauf und war somit für uns Radfahrer nicht befahrbar. Selbst die 8 % bis manchmal 10 % der Landstraße zwangen uns oft zur Rast. Nach einer kleinen Trinkpause quälten wir uns mal wieder mühsam den Berg hinauf. Auf einmal sah ich am Wegrand eine Quelle. Ich stieg sofort ab, um dem Schöpfer für dieses Naturgeschenk zu danken und mich am Wasser zu laben. Ingo, dem die Pause gerade recht kam, fand die Idee auch gut und trank von dem sprudelnden Quell. Als wir uns wieder auf unsere Räder schwingen wollten, fragte er: "Mensch hast du nicht einen Rucksack gehabt?" Mir fuhr es eiskalt durch die Glieder. Natürlich, wo war der Rucksack? Es gab keine andere Erklärung, als dass ich ihn an unserem letzten Rastplatz stehen gelassen hatte.
Wie der Teufel raste ich die Straße, auf der ich mich so mühsam hinaufgequält hatte, wieder hinunter. Dann sah ich ihn schon von weitem. Der Rucksack stand einsam und verlassen an der riesigen Wand aus Wackersteinen und wartete darauf, mitgenommen zu werden. Ich war glücklich, als ich ihn wieder schultern konnte und fuhr nun die Bergstrasse in hohem Tempo hinauf, um die beiden wieder einzuholen. Im Stillen war ich froh, an dem Quell die Geste der Dankbarkeit geübt zu haben, sonst hätte ich das Fehlen des Rucksacks wahrscheinlich erst auf dem Pass bemerkt.
Ich holte Ingo und Kurt bald nach Vega de Valcarce wieder ein und wir radelten gemeinsam zum Cebreiro hoch. Auf der letzten Wegstrecke blies ein kräftiger Wind über die kahle Bergkuppe und so mussten wir uns wieder einmal tüchtig abrackern, bis wir endlich die Passhöhe erreicht hatten. Kurzer Händedruck und dann ging`s weiter auf Galicischem Boden, weiter auf dem langen Weg nach Santiago.
Eine Stunde später überquerten wir auch den 1330 Meter hohen Pojo Pass. Und dann gings in rasender Talfahrt bergab bis Triacastela. Hier wollten Kurt und Ingo in einer Pilgerherberge übernachten. Ich aber fuhr weiter über Samos bis Sarria.
In Sarria fand ich Unterkunft in einer kleinen unscheinbaren Pilgerherberge, wo die Wäsche am Balkon flatterte. Aber ich hatte ein ordentliches Bett und war mehr als froh, in der Stadt selbst Unterkunft gefunden zu haben. Das genoss ich über alle Maßen und kaufte in einem nahe gelegenen Supermarkt eisgekühltes Bier, Brot, Thunfischsalat, Käse und Rotwein. Auf einer Parkbank machte ich es mir unter einem Baum gemütlich, trank mein Bier und aß meinen Thunfischsalat mit Brot. Es hat einfach wunderbar geschmeckt. Als es dunkelte, spazierte ich noch ein wenig durch die Altstadt und begab mich dann müde und zufrieden in meine Herberge.
Sonntag, 13. Mai,
29. Tag Start 7.15 Uhr Sarria, Ankunft 17 Uhr Melide, 99 km
Weg: Sarria, auf 633 Maradela, Portomarin bis 640, Guntin, auf 547 Palas de Rei, Melide
Heute ist es kalt und regnerisch. In Galicien wuchern die Wälder und die Weiden stehen in saftigem Grün. Es erinnert an deutsche Mittelgebirge, wie beispielsweise die Rhön in Hessen. Meine morgendlichen Abfahrten haben nichts Aufregendes mehr. Das Einzige was mich in Erstaunen versetzt, ist die Länge des Weges nach Santiago. Wochenlang breche ich jeden Tag auf und fahre nach Santiago und es kommt mir vor, als wenn diese geheiligte Stadt am Ende der Welt liegt. Dabei habe ich stets den Eindruck, als sei der Weg in Spanien doppelt so lang wie meine Tour durch die Schweiz und Frankreich zusammen. Natürlich eine Täuschung. Heute Morgen ging es mir wieder so. Die Finger kalt und steif arbeitete ich mich schwitzend den Berg hinauf, um gleich darauf vom kalten Wind gebeutelt die regennasse Straße hinunter zu sausen. Der Schwung reichte kaum für die ersten Meter des erneuten Anstiegs und so begann das Spiel von vorn. Ab und zu setzte mir auch ein heftiger Regenschauer zu. Nur in Maradela hatte ich das Glück mich in eine schützende Bar flüchten zu können und die Zeit mit heißen Kaffee zu überbrücken. Der Wirt hatte großes Mitgefühl für mich und füllte die Tasse Espresso mit Brandy auf. Das müsse ich bei dem Wetter haben, meinte er. Da stimmte ich ihm vorbehaltlos zu.
Endlos der Anstieg der Straße hinter Portomarin. Teilweise läuft der Camino direkt neben der Straße her. Ein Gruppe Blinder, geführt von Hunden ist unterwegs. Ein Esel trägt das Gepäck. Ein ermutigendes Bild, das mich wieder neu motiviert. Sie schreiten wacker aus. Wahrscheinlich fühlen sie sich reich beschenkt. Ich streife eine gewisse Lethargie, die sich in den letzten Tagen bei mir eingeschlichen hat, ab und versuche ganz bewusst, mich über den Weg zu freuen, der mich nun schon so nahe an Santiago herangebracht hat.
Kurz vor der N 640 treffe ich einen Franzosen aus Brest. Er ist in 14 Tagen an der Westküste Frankreichs entlang bis hier her gefahren. Das Wetter gefällt ihm ganz und gar nicht. Wir unterhalten uns bis wir auf die große Landstraße treffen. Von hier ging es dann rasend hinunter. Ich bremste nicht und schon bald war der Franzose nicht mehr zu sehen. Als es dann wieder heftig zu regnen anfing, flüchtete ich nach Guntin und setzte mich in eine kleine verräucherte Bar. Bis auf die Haut durchnässt genoss ich die Wärme, bestellte einige Kaffees und aß meine Brote. Die Ruhe tat gut.
Nach einer Stunde schlüpfte ich in einer Regenpause wieder hinaus und fuhr in dem eklig kalten Wind auf der 547 Richtung Palas Rei und Melide. Aber schon nach wenigen Minuten prasselten Schauer nieder. Anfangs ignorierte ich sie, aber als schließlich das Wasser wolkenbruchartig herrunter stürzte suchte ich Schutz im Unterstand einer Bushaltestelle. Einige Minuten später flüchtete eine junge Frau im knallroten Regenumhang mit ihren Rad unter dieselbe Haltestelle. Es war Vanessa aus Brasilien, die auch auf dem Camino war. Sie hatte ihre Reise zu Fuß in Pamplona begonnen, aber sich schon kurze Zeit später ein altes Fahrrad gekauft und die Pilgerschaft mit diesem Rad fortgesetzt. Als der schlimmste Regen abebbte schwangen wir uns auf die Räder und setzten die Fahrt gemeinsam fort. Bis nach Melide schafften wir es, dann regnete es wieder heftig und ich zog es vor, mich in der Pilgerherberge einzuquartieren.
Man glaubt nicht, wie gut nach so einem Regentag eine heiße Dusche
tut. Mit trockenen Sachen und einem Regenschirm bewaffnet, marschiere ich
in die Innenstadt und suche das Restaurant "Carlos". Nach 20 Minuten
Fußmarsch finde ich es endlich. "Vor 9 gibt's nichts" beschied
mich die freundliche Bedienung. Es war 18.30 Uhr. Also marschiere ich wieder
zurück und finde schließlich ein freundliches aber schmuddeliges
Schnellrestaurant, wo ich sofort ein kleines Steak mit Pommes bekomme. Der
nicht aufhörende Regen, die langweilige Stadt Melide und das Bedürfnis
nach Ruhe treiben mich zurück in die Pilgerherberge. Ich trinke in der
Küche meinen Rotwein und schon bald kreist die Flasche am Tisch. Man
unterhält sich über den Camino, Über was sonst? Schließlich
lerne ich noch ein wenig Spanisch und falle mangels besserer Betätigung
ins Bett.
Montag, 14. Mai,
30. Tag Start 7.45 Melide, Ankunft 13.30 Santiago de Commpostela, 45 km
Weg: Pilgerherberge Melide, auf N 547 bis Labacolla, Monte do Gozo, Santiago de Compostela
Der Morgen ist grau und regnerisch. Heute soll es mein letzter Pilgertag nach Santiago werden. Eigentlich sollte ich jubeln, dass ich endlich am Ziel meiner langen Reise auf dem langen Weg nach Santiago in Santiago angekommen bin. Aber mir ist sehr verhalten zumute, fast ein wenig müde. Das kann natürlich an dem nasskalten Wetter liegen. Um die Zeit meines Aufbrechens hinaus zu zögern, koche ich mir in der Küche einen Kaffee und löffle aus dem Teller mein Milchfrühstück mit knusprigen Crispy. Dann breche ich bei Nieselregen auf.
Wie immer in Galicien geht es über Berg und Tal. Allmählich lockert die Bewölkung auf und der graue Dauerregen verabschiedet sich. Dafür prasseln alle 20 Minuten heftige Schauer nieder. Wenn sie sich abgeregnet haben, scheint sogar manchmal die Sonne. Ab Labacolla fahre ich auf dem Camino nach Monte do Gozo. Genauer gesagt, schiebe ich natürlich sehr oft. Wenn ich die Pilger, die nun immer zahlreicher unterwegs sind, mit einem kernigen "Buen Camino" grüße, dann ist der Gruß zurück verhalten und schwach. Sie schweigen oftmals, schauen auf den Boden und sehen apathisch aus. Ich kann sie verstehen. Wenn einer wirklich wochenlang unterwegs war, dann fühlt er jetzt eine gewisse Müdigkeit. Santiago ist in greifbarer Nähe, die Spannung lässt nach.
Als ich auf dem Monte del Gozo, den Berg der Freude stand, auf dessen monumentalen Denkmal Papst Johannes Paul II. anlässlich des 4. Weltjugendtreffens 1989 verewigt wurde, sah ich, besser gesagt ahnte ich die heilige Stadt im Dunst der Ferne. Ich freute mich, das Ziel meiner Reise nun in Kürze erreicht zu haben. Nicht weil ich die Hoffnung hatte nun von meinen Sünden Ablass zu bekommen, nein, ich freute mich, eine geheiligte Stätte zu betreten, in der ich Fürbitten, beten und danken konnte.
Endlich 13.30 Uhr passierte ich das Eingangsschild der Stadt Santiago de Compostela. Jetzt auf einmal spüre ich das erhebende Gefühl, endlich Santiago erreicht zu haben. Auf der Barrio dos Concheros und der Rua de San Pedro radle ich in das schluchtenartige Häusermeer der Innenstadt. Als ich den Porta de Camino überquere, erfasst mich nun doch eine feierliche Spannung. Ich sehe die Kathedrale nicht, aber ich weiß, dass sie in der Nähe ist. Auf dem Cervantes Platz laufen Menschen aus allen Himmelsrichtungen auf einander zu und strömen ebenso wieder auseinander. Mein Rad schiebend pilgere ich langsam die Azevacheria hinunter. Noch einmal links, dann rechts und schon stehe ich auf dem Treppenabsatz vor der Casa de la Parra und sehe hinunter auf den Quintana Platz. Rechts von mir erhebt sich die Kathedrale und links die hohen Mauern des San Paio de Antealtares Klosters mit den kleinen vergitterten Fenstern. Ein Gefühl der Beklommenheit ergreift mich. Überall wohin ich sehe, umgibt mich monumentale Pracht, aber auch eine gewisse Düsternis ist nicht zu übersehen. .
Als erstes begebe ich mich in das Pilgerbüro in der Rua de Vilar. Hier werden die begehrten Pilgerurkunden ausgegeben. Die Dame nimmt meinen Pilgerpass und prüft ziemlich detailliert, wie mir scheint, meine Stempel nach. Dann schreibt sie: Nikolasius Theodorius Goerschel,....und überreicht mir zum Schluss ein ziemlich schmuckloses gelbes Blatt Papier.
Bevor ich in die Kathedrale gehe, suche ich noch eine Unterkunft möglichst nahe an der Innenstadt. In der Rua da Hospitalida nahe am San Roche Platz finde ich etwas Hübsches für 30 EUR die Nacht. Nach langen Wochen äußerst spartanischer Unterkünfte freute ich mich über den Luxus eines Einzelzimmers mit Dusche und Toilette. Es sollte nur für eine Nacht sein, denn morgen wollte ich meinen Weg nach Kap Finistera fortsetzen.
Fahrrad und Packtaschen ließ ich in meiner neuen Herberge und machte mich auf den Weg zur Kathedrale. Genauer, ich irrte ziemlich hilflos in der Altstadt umher und konnte überhaupt nicht herausfinden, welche Gebäude zur Kathedrale gehörten und welche nicht. Überall boten sich mächtige Türen und Tore an, von allen Seiten schien man in die Kathedrale eintreten zu können. Wohin man blickte, vielgestaltige Türme, kunstvolle Fassaden, breite Treppen, düstere Mauern. Ich konnte mich anstrengen was ich wollte, die Grundstruktur dieser Kathedrale blieb mir verborgen. Weder wusste ich in welche Richtung das Hauptschiff, noch die Seitenschiffe ausgerichtet waren. Also entschloss ich mich, erst das Innere dieses viel gepriesenen Sakralbaues zu erkunden.
Ich betrat die Kathedrale vom Platerias Platz her. Der Innenbau war klar der Romanik zuzuordnen. Jetzt sah ich auch wo Hauptschiff und Seitenschiffe lagen. Klar, das große Kuppelgewölbe erhob sich genau über der Vierung. Ich nahm auf dem Gestühl des Mittelschiffes Platz und hatte nun einen direkten Blick in den Altarraum. Im Zentrum eines riesigen Schreins saß die steinerne Figur des Apostels Jakobus. Ich sah, wie in dem Schrein Menschen erschienen und den steinernen Jakobus von hinten um die Schulter umarmten. Der Apostel schaut auf den Betrachter mit großen Augen und offenem Mund, als wolle er uns gerade etwas sagen. Über eine winzige Treppe steige auch ich in den Schrein hinauf. Als ich hinter der mächtigen Figur stehe, kann ich mich nicht zu einer Umarmung entschließen, sondern berühre mit meinen Händen den Schulterumhang und danke dem heiligen Apostel Jakobus für diese meine Pilgertour.
Nachdem ich den Schrein verlassen habe, steige ich vom Chorumgang aus die kleine Treppe in die Krypta des Altarraumes hinunter. Hier liegen in einer reich verzierten Silberurne die Reliquien des Apostels und seiner Schüler. Nach der Legende fand man hier im 9. Jahrhundert die Gebeine des Apostels Jakobus und seiner zwei Schüler. Der Überlieferung zufolge war der Apostel, nachdem er in Spanien gepredigt hatte in Palästina im Jahre 44 nC gefoltert und geköpft worden. Seine Gefolgsleute brachten Körper und Kopf auf dem Schiffsweg nach Spanien zurück und bestatteten ihn hier auf der Libredon Anhöhe. Das Grab war lange Zeit vergessen. Erst als der Eremit Paio seltsame, sternförmige Lichtererscheinungen über dieser Anhöhe sah, entdeckte man an dieser Stelle sterbliche Überreste, die man dem heiligen Jakobus zuordnete. Es war Alfonns II, König von Asturien und Galicien, der nach der Entdeckung der Grabstätte dort einen einfachen Tempel bauen ließ. Um diese Kirche herum, die später geweiht wurde, ließen sich Benediktinermönche und andere Siedler nieder und begründeten den Ruhm des Ortes. Schon bald setzten die ersten Wallfahrten ein. Viele der heutigen Orte am Camino in Spanien, verdanken ihre Gründung und ihr Bestehen der Pilgerschaft zum heiligen Jakobus.
Nachdem ich die Figur berührt und den Schrein mit den Reliquien gesehen hatte, zog ich mich in ein Seitenschiff zurück und hielt ernsthaft innere Einkehr und Andacht. Ich gedachte der vielen Menschen, die mich darum baten, für sie zu beten und zu bitten. Dem tat ich Genüge. Dann dankte ich dem Herrn für den Segen und das Gelingen meiner Pilgertour nach Santiago. Am nächsten Tag nahm ich an der feierlichen Pilgermesse um 12 Uhr mittags teil. Damit hatte meine Pilgerschaft nach Santiago de Compostela ein würdiges Ende gefunden.
Zwischen dem Besuch der Kathedrale und der Messe am nächsten Tag schaute ich mir Santiago näher an, besuchte einige Museen und traf viele Menschen, denen ich schon unterwegs begegnet war. Klar, da war die Freude groß und es gab eine Menge zu erzählen.
Tagebuch meiner Pilgerreise auf dem Jakobsweg mit dem Fahrrad von Markdorf (Bodensee) nach Santiago de Compostela Copyright Klaus Goerschel |
Teil 5
Durch Spanien auf dem Camino von Leon bis Santiago/Finistera