Mittwoch, 2. Mai
18. Tag Start 12 Uhr St. Jean Pied de Port, Ankunft 18.30 Zubiri, 56 km
Weg: St. Jean Pied-de-Port, Frankreich, auf N 135 nach Roncesvalles und Zubiri, Spanien
Hinter St. Jean ging es nun 18 Kilometer bergan bis zum Ibaneta Pass hinauf. Die durchschnittliche Steigung betrug 7 bis 8 %, was für mich nichts anderes hieß, als dass ich wohl mein beladenes Fahrrad bis zum bitteren Ende den Berg hinauf schieben musste. 4 bis 5 Stunden werde ich einkalkulieren müssen. Leider fegte ein kalter Wind die Passstraße hinunter, sodass ich trotz strahlender Sonne, in den kleinen Stehpausen schnell zu frieren anfing. Ab und zu rieselten Quellen über das Felsgestein oder es schoss ein Bach in die Tiefe. Durst litt ich also nicht. Von den 18 Kilometern schob ich 15, die letzten 3 zum Gipfelpunkt konnte ich fahren. Nach 4 Stunden endlich erreichte ich glücklich und zufrieden um 16 Uhr die Passhöhe und stellte mein Fahrrad an der futuristisch wirkenden Kapelle ab.
Meine Erleichterung, die Pyrenäen erklommen zu haben, bekam schnell
einen Dämpfer. Was mich vor allem motiviert hatte, zügig und ohne
große Pause den Scheitelpunkt zu erreichen, war die Hoffnung, in Nordspanien
warmes, um nicht zu sagen mediteranes Wetter vorzufinden. Leider musste ich
feststellen, dass hier ein eiskalter Wind über die Höhen pfiff.
Naja, tröstete ich mich, jetzt rollst du mal nach Pamplona hinunter und
da wird es schon warm werden.
Ich grüßte einige deutsche Fußpilger, die nur knapp zurückgrüßten.
Haltung und Mimik sagten: "Wo kommst du denn her, wir sind immerhin schon
von St. Jean hier hoch gelaufen." Haben die eine Ahnung was es heißt,
hier mit dem Fahrad hochzu kommen? Sie liefen schon bald den Weg weiter Richtung
Roncesvalles und ich genoss es, allein zu sein. Schnell noch eine Banane,
einen Apfel und ein paar Nüsse gegessen und dann musste ich mich warm
anziehen. Ich steckte noch ein kleines Kreuz zusammen und legte es auf die
Wiese. Anschließend schwang ich mich auf mein Fahrrad und freute mich,
in das warme Spanien hinunter zu fahren.
Es fing gut an. In rasender Fahrt ging es bis Roncesvalles. Doch es blieb grauenvoll kalt. Trotz Mütze und Jacke biss sich die Kälte in meinen Körper hinein. Der Kopf tat mir weh. Ich wusste nicht, ob ich weinen oder lachen sollte, als es zwar mit der kalten Bergabfahrt schon bald zu Ende war, ich aber wider Erwarten mein Fahrrad den Berg hinauf schieben musste. Wenigstens blieb mir der kalte Fahrtwind erspart. Freundliche Spanier, junge Männer auf Rennrädern rieten mir, schon in Zubiri Herberge zu suchen. Das tat ich auch und war heilfroh, meine Tour für heute hier zu beenden. Auf meine Nachfrage, wo hier die Pilgerherberge sei, gaben zwei Männer die Auskuft: "Da wo so viele Schuhe vor dem Haus stehen." .
Tatsächlich, ich fand die Herberge sofort aufgrund dieses wichtigen Pilgerutensils. Mein erster Blick in den großen Schlafsaal schockierte mich. Zwei Reihen doppelstöckige Betten für Männer und Frauen gemeinsam. Zwischen den Betten maximal eine kleine Schulterbreite Luft. Rucksäcke, Jacken, Stöcke, Kleidung lagen auf dem Boden oder waren am Bettgestell hinten aufgehängt. Apathisch liegende Gestalten unter dünnen Decken. Viel Auswahl hatte ich nicht mehr. Ich belegte gleich vom vordere Bett den freien oberen Stock. Eine Stunde später merkte ich, warum sich dort noch keiner einquartiert hatte. Der Deckenventilator hing genau über dem Bett und erzeugte eine ordentliche Dauerbrise. Hier musste ich weg. Ganz hinten im Eck war noch das obere Bett frei. Also hier einquartiert. Nach einem dünnen Abendessen, wobei wohl der Rotwein noch die meisten Kalorien hatte, grauste es mich, die Stätte meiner Nachtruhe aufzusuchen. Aber mir blieb nichts anderes übrig. Ich kletterte in mein Bett hinauf und wickelte mich in meinen Schlafsack ein.
Donnerstag, 3 Mai
19. Tag Start 5.30 Uhr Zubiri, Ankunft 19.30 Uhr hinter Estella, 92 km
Weg: Pilgerherberge Zubiri, N 135 Pamplona, 111 Puente La Reina, Estella, Kloster Irache, Camping 4 km hinter Estella
Ich habe eine schlimme Nacht hinter mir. Es begann schon gestern abend, als ich einschlafen wollte. Erstaunlicherweise war es in dem Schlafsaal manierlich still. Na so schlimm ist es also auch nicht, dachte ich und begann so langsam ins Reich der Träume zu schweben, als plötzlich der Mann unter mir unsäglich zu schnarchen begann. Ja so ein Pech, so etwas habe ich noch nie gehört. Das war ein Rollen und Sägen aus tiefster Brust vom Lungenvolumen eines 5-Minuten-Tauchers. Ich hoffte darauf, dass mich irgendwann die Müdigkeit übermannen würde. Doch kaum war ich ein wenig eingenickt, schreckte ich schon wiederhoch, denn der Gute unter mir schnarchte so laut, so regelmäßig und so anhaltend, als würden zwei Männer im Urwald einen Mammutbaum zersägen. Ich quälte mich die ganze Nacht herum. Meine Ohrenstöpsel konnte ich nicht finden. 4.30 Uhr Morgens gab ich entnervt auf, schleppte meine Sachen ins Freie vor das Haus und zog mich an. Die Nacht war außerordentlich finster und kalt. Als ich das Fahrrad gepackt hatte, knipste ich meine Lichter an und radelte auf der dunklen Straße Richtung Pamplona.
Als ich Pamplona erreichte, dämmerte es gerade. Nun hatte ich Zeit und schob mein Fahrrad durch den Media Luna Park auf die Kathedrale zu. Ich versuchte, auf einer Parkbank im Sitzen zu schlafen. Alle Jacken hatte ich angezogen, um mich gegen die Kälte zu schützen, aber es reichte nicht aus. Schließlich zitterte ich vor Müdigkeit und Hunger. Nun blieb mir nichts anderes übrig, als meine Scheu, hier wie ein Tramp zu hausen, beiseite zu schieben und Gaskocher und Töpfe auszupacken und mir ein gutes Frühstück zu bereiten. Einige Menschen die zur Arbeit eilten, und selbst noch nicht ganz wach waren, schauten erstaunt auf meine Wirtschaft. Das war mir egal. Ich schlürfte einen großen Pott heißen Kaffee und schaute dankbar auf die erhabene Schönheit der Kathedrale.
Gegen 8 Uhr erwachte Pamplona so richtig zum Leben. Nun machte ich mich auf die Suche nach einem Stempel. Kein leichtes Unterfangen. Die Kathedrale war leider noch geschlossen und keiner wusste so richtig wo das "Sekretariat der Kirche" war. Bis mich eine junge Frau in heller Lederjacke, Plisserock und Stöckelschuhen durch die Innenstadt zur Pilgerherberge führte. Sie trommelte für mich am Fenster der Herberge die Wirtin heraus. Die steckte unwirsch ihren Kopf raus und verwies auf die Öffnungszeiten. Schließlich becircte die junge Frau sie. Den Stempel in der Hand langte sie durch das geöffnete Fenster und presste ihn in meinen Pass. Ich dankte der jungen Dame herzlich und sie bat mich, in Santiago für sie zu beten.
Ich wollte nicht einen halben Tag in Pamplona verbringen und so marschierte ich langsam, das Fahrrad schiebend und den gelben Pfeilen des Camino de Santiago folgend auf den Ausgang der Stadt zu. An einer Ampel traf ich dann auf eine deutsche Pilgern, die auch aus der Stadt heraus wollte. Sie war erst heute morgen mit dem Flugzeug aus Berlin kommend in Pamplona gelandet und wollte hier ihre Pilgerreise zu Fuß nach Santiago beginnen. Wir liefen ein Stück gemeinsam auf dem Weg und sie fragte nach meiner bisherigen Pilgerreise. In einem kleinen Dorf am Stadtrand von Pamplona, setzten wir uns in eine kleine Bar und Alina bestellte in perfektem Spanisch Kaffee und Sandwich für uns. Sie erzählte, dass sie gerade erst ihr Jura Studium beendet hatte und auf dem Jakobsweg nach Santiago pilgern wollte, bevor sie mit ihrer Arbeit in einer Kanzlei begänne. Zum Einen, um sich eine Auszeit zu gönnen, zum anderen um einmal etwas besonderes zu machen.Wir liefen noch eine Strecke gemeinsam, vertieft in interessante Gespräche, aber hinter Pamplona trennten sich dann unsere Wege. Für Radpilger ist der Marsch über den Berg Perdón nicht geeignet ist. Damit wird mir klar, dass ich wohl auch in Spanien mit dem Rad nicht immer auf dem Camino fahren kann.
Nun tigerte ich allein mit dem Rad auf der N 111 zum Perdon Pass hinauf. Der Himmel war mal wieder stark bedeckt und es wehte mir ein kräftiger kalter Wind. Auf dem Höhenzug der vor mir liegenden Bergkette surrte eine Batterie von 40 Windrädern in vollem Lauf. Starker Gegenwind und 7 % Steigung sind für einen Radfahrer mit schwerem Gepäck kein Zuckerschlecken. Hatte ich also geglaubt, dass die Schieberei in Spanien ein Ende haben würde, sah ich mich jetzt gewaltig getäuscht. Die Abfahrt nach Puente la Reina hingegen war an Gefährlichkeit kaum zu überbieten. In schwindelerregendem Tempo rollte ich gegen heftige Windböen den Berg hinunter auf die "Brücke der Königin" zu, die seinerzeit im 11 Jahrhundert gebaut wurde, um den Pilgern die Überquerung des Flusses Arga zu erleichtern.
Am späten Nachmittag erreiche ich Estella und hoffe, hier Herberge zu finden. In der Albergo sitzt ein älterer Herr am Schreibtisch und liest in einem dicken Roman. Als ich ihn wegen einer Unterkunft anspreche, sagt er mir, ohne den Kopf zu heben, es sei alles besetzt. Als ich einwende, ich wäre auch mit einer Matratze zufrieden, schaut er auf und knurrt mich an: "Besetzt, besetzt!" Ich gebe entnervt auf und fahre weiter. Für den Abend kaufe ich noch Wein und Steaks.
An einer Weggabelung entscheide ich mich für Irache und muss nun auf einem Schotterweg das Fahrad mühsam den Berg hinauf schieben. Über mir haben sich dunkle Wolken zusammengezogen und ich bin nicht frei von der Sorge, dass es bald regnen könne. Fast wäre ich in der Eile an einer besonderen Gittertür vorbei gegangen, wenn mir nicht zwei glänzende Wasserkräne aufgefallen wären. Neugierig inspiziere ich die blinkenden Hähne und stelle fest, dass man aus einem Wasser und aus dem anderen Wein zapfen kann. Eine erste Kostprobe fällt überraschend gut aus. Der Wein schmeckt edel. Ich bin ganz aus dem Häuschen. Ich stehe an einer Bodega, einer Weinkellerei, die den Pilgern körperliche Wohlfahrt und seelische Aufmunterung anbietet. Ehrfürchtig fülle ich mir einen großen Becher von dem edlen Wein ab und trinke ihn sofort aus. Dann zog ich dankbar und gut aufgemuntert weiter, vorbei an dem großen gleichnamigen Kloster Irache.
Eine halbe Stunde später fand ich in einem kleinen Waldstück ein Plätzchen zum Zelten. Hier hast du deine Ruhe. Ich baute schnell das Zelt auf, briet meine Steaks und probierte meinen gekauften Wein. Dann verkroch ich mich ins Zelt. Denn, obwohl die Sonne noch einmal eine freie Stelle in der Wolkendecke gefunden hatte, es sah nach Regen aus. Ich haderte ein wenig. Alles was ich mir von Spanien erhofft und erwartet hatte, war ausgeblieben und besonders schön fand ich es auch nicht gerade.
Freitag, 4. Mai
20. Tag Start 7.45 Uhr hinter Estella, Ankunft 19.30 Uhr Ventosa, 80 km
Weg: Camping hinter Estella, N 111 Los Arcos, N 112 über Lazagurria zur N 134, Logrono, auf dem Camino am Stausee Pantano de la Grajera vorbei bis Navarrete und weiter bis Ventosa.
In der Nacht hat es mehrmals geregnet. Ein furchtbares Geräusch wenn
dicke Tropfen auf das Zelt trommeln.
Morgens 7 Uhr wieder unsanft geweckt. Diesmal sind es laut sprechende Leute,
die vor meinem Zelt stehen. Mir wird es verdammt ungemütlich. Gott sei
dank verstehe ich nicht, was sie sagen. Bestimmt geht es um mein wildes Zelten.
Sie gehen weiter und ich atme auf. 10 Minuten später wieder Leute. Wieder
wird geredet. Ich mache mich in rasender Eile fertig. Kaum ist das Notdürftigste
getan, da sehe ich Pilger auf dem Camino. Irgendwie peinlich. Ich raffe schnell
die nassen Sachen zusammen, während jetzt einer nach dem anderen an mir
schweigend vorbei geht.
Im Nieselregen nach Los Arcos geradelt. In der düsteren Innenstadt warten einige Radfahrer unter den Arkaden und im Vestibül der Kathedrale auf das Ende des Regens. Die Tür der Kirche bleibt verschlossen. Überall freudlose Gesichter, kein Gruß. Die Straßen nass und dunkel, wie ausgestorben. Ich spüre eine kleine Eckkneipe auf, in der es hoch her geht. Hier stehen und sitzen sie, alte und junge Männer und trinken Kaffee, Wein, Aperitivs und Brandy. Mit Mühe kann ich noch einen Barhocker ergattern. Cafe schwarz und ein Bocadillo bestelle ich und zeige dabei auf die leckeren Sandwiches vor mir, belegt mit Rüherei und Schinken. Der Keeper zieht blitzartig aus dem großen Stapel Sandwiches von unten ein Brötchen weg. Schade, das war zwar mit Rüherei aber fast ohne Schinken. Der Regen hat mittlerweile nachgelassen. Also radle ich südwärts aus Los Arcos auf die N 112 zu und will Logrono über Lazagurria erreichen. Leider musste ich bolzen was das Zeug hielt, weil ein heftiger Wind wütend über die Ebene fegte und partout nicht wollte, dass ich voran kam. Gegen Mittag 12 Uhr erreichte ich nach endloser Geradeausfahrt Logrono.
Die Kathedrale von Logrono habe ich schnell gefunden. Da ich vor dem Besuch unbedingt in meine Homepage einen kurzen Bericht schreiben wollte, ging ich erst in die öffentliche Bibliothek. Es war dort so ruhig und gemütlich, dass ich nach dem Schreiben auf dem Stuhl fast einschlief und nicht bemerkte, wie die Zeit verging. Als ich wieder auf die Straße trat, war es schon 14.30 Uhr und die Kathedrale war geschlossenen. Nun wollte ich Logrono verlassen. Als ich an der Pilgerherberge vorbei marschierte, hatte sich dort eine große schweigende Menge Pilger versammelt, die auf ihren Rucksäcken saßen und auf Einlass warteten. Erst 16 Uhr wurde die Albergo geöffnet und erst dann wussten sie, ob sie hier bleiben konnten. Der stille Kampf um die Betten war voll entbrannt. So mancher marschierte schon 4 Uhr morgens los, damit er sein Tagespensum mittags erreicht hatte.
Noch in Logrono machte ich eine unangenehme Entdeckung. Ich hatte einen Handschuh verloren. Minutiös suche ich die Gassen ab, aber ich fand ihn nicht. Eine böse Sache, denn ich fuhr in Spanien wegen der unerwarteten Kälte hauptsächlich mit Handschuhen. Schließlich gab ich die Suche auf und verließ die Stadt 16.30 Uhr.
Im Zickzack arbeitete ich mich auf dem Camino bis zum Stausee Pantano de la Grantera vor. Hier wurde es landschaftlich schöner. Der See erinnerte an nördliche Gefilde. Als ich einen Angler fragte, ob er etwas gefangen habe, holte er bereitwilligst aus seiner Reuse einen großen gelben Fisch und ließ sich gerne fotografieren. Weiter gings durch grünes, feuchtes Auenland und dann durch Felder und Weinberge. Der Zaun an der Autobahn war über und über mit kleinen Holzkreuzen bestickt. Als Tagesziel hatte ich mir im Stillen Najera vorgestellt. Doch plötzlich war der Camino überschwemmt und weggespült worden. Hier konnte ich mit meinem beladenen Fahrrad im Schlamm versinken. So bitter weh es tat, ich schleppte mich müde den steilen Berg nach Ventosa hinauf. Als ich nun mein Fahrad mit letzter Kraft die 20 % Steigung hinaufgeschoben hatte, kam ein junger Mann auf mich zu, der meine Quälerei beobachtet hatte und bot mir Herberge an. Ich wusste zwar nicht wo, nahm aber gern an.
Es zeigt sich, dass ich fast die Haustür einer Pilgerherberge eingerannt hatte. Noch immer mein Glück nicht fassend, trat ich in den dunklen Eingangsraum und dann in ein erleuchtetes ebenerdiges Zimmer. An dem langen Tisch saß eine junge Dame und schrieb in ihrem Tagebuch. Es dauerte nur Minuten und wir waren in ein tiefes Gespräch über Skandinavien, Tromsjö, Alaska, Lappland und Sibirien verwickelt. Gundula studierte norwegische Sprache und war an allem interessiert was nordisch war. Na, das nannte ich einen Zufall. In der engen Küche kochte ich mir eine Suppe mit einer dicken geräucherten Wurst. Eine Frau sitzt auf der Waschmaschine und fixiert mich stieren Blickes. Ich versuche ins Gespräch zu kommen, aber sie antwortet knapp, fast feindselig. Da nehme ich meine Salatschüssel und gehe in die Stube ins Erdgeschoss zurück. Ich bitte Gundula sich am Salat zu beteiligen und so essen wir frischen Salat und unterhalten uns angeregt über Schnee und Winter und Alaska.
3 Personen schlafen in der Stube als Notunterkunft. Gundula auf dem Tisch
und neben mir auf dem Boden die komische Frau, die mich fixierte, ohne ein
Wort zu sagen. Eigentlich bin ich zufrieden, aber der Raum ist kühl und
feucht und die stehende Luft setzt mir zu. Meine Verkühlung von der Abfahrt
aus den Pyrenäen hatte ich immer noch nicht ganz überwunden. Leider
musste ich husten und fühlte mich auch sonst unwohl.
Sonnabend, 5. Mai
21. Tag Start 8 Uhr Ventosa, Ankunft 14 Uhr St. Domingo de la Calzada, 34 km
Weg: Pilgerherberge Ventosa, auf dem Camino über Najera nach Santo Domingo de la Calzada
Die Nacht war furchtbar. Die klamme Kellerluft reizte meine Atemwege. Kaum war ich eingeschlafen, wurde ich von meinem eigenen Husten geweckt. Auch schnarchte ich und fiel nur in einen leisen Schlaf. Ich rannte mehrmals ins Freie und so hieß es jedesmal die Reißverschlüsse zweier Schlafsäcke aufzuziehen und dann wieder zuzuziehen. Der ganze Flüssigkeitsverlust verursachte mir einen quälenden Durst und so kam ich mitten in der Nacht auf die Idee eine Dose Bier zu öffnen. Ganz, ganz leise, versteht sich, um bloß keinen zu wecken. Glücklich über dieses köstliche Bier trank ich die ganze Dose aus und stellte sie geleert auf den Steinfußboden. Ich schlief gerade seelig ein, als ich mit der ausgestreckten Hand versehentlich die Dose umwarf. Sie kullerte blechern über den Steinfußboden und im Nu waren alle im Raum wach. Die Frau, die neben mir schlief, stand wutentbrannt auf und knippste Viertel vor Vier das Licht an. Das war allerdings eine Provokation auch den anderen gegenüber, die noch im Raum schliefen. In aller Herrgottsfrühe verließ sie das Haus. Es war übrigens die gleiche Frau, die mich gestern abend so feindselig fixiert hatte.
Ich war todunglücklich und entschuldigte mich bei Gundula, die mir bestätigte, dass ich ziemlich laut geschnarcht hatte. Wir versuchten alle wieder zu schlafen, aber so richtig funktionierte es nicht. 6 Uhr war dann große allgemeine Aufbruchsstimmung und auch ich machte mich fertig.
Stilles, schweigendes Frühstück mit Gundula in einer kleinen Küche im ersten Stock. Auf dem Boden schlief noch ein Paar, das wir nicht wecken wollten. Draußen ist es kalt und windig. Gundula macht noch ein Bild vor dem Haus und äußert die Hoffnung, dass man sich vielleicht in Santo Domingo wieder sähe. Das war trotz der geringen Kilometer gut möglich, da ich mich nicht wohl fühlte. Wir vermieden jede Zusage und überließen es dem Zufall.
Der Weg nach Najera führte erst neben der Autobahn her und dann durch Felder und Weinbaugebiete. Ich blieb auf dem Camino, weil ich mich wegen meiner Husterei nur minimal anstrengen wollte. Außerdem war das Fahren auf der Landstraße wegen des heftigen Gegenwindes auch nicht besonders schnell. Also wurde aus der Not eine Tugend und ich nutzte die Gelegenheit mit vielen Pilgern ins Gespräch zu kommen. Besonders ein älterer Herr aus Vancouver, Kanada, erzählte mir viel von seiner Heimat. Ich sprach von meinen Plänen, eines Tages die Inside Passage von Kanada und Alaska mit dem Kajak bereisen zu wollen.
Gegen Mittag platzten wolkenbruchartige Regenschauer auf das Land und die Pilger. Ein halbfertiger Neubau bot Schutz vor den Wassermassen, erwies sich aber als Turbodüse für den heftig über das Land fegenden Wind. Eine Gruppe französicher Frauen störte das weniger. Sie setzten sich auf den Boden, belegten ihr Weißbrot und tranken Rotwein dazu. Mich packte wieder erbärmlicher Schüttelfrost und so zog ich trotz Regen weiter. Kaum tauchte eine kleine Bar am Wegesrand auf, da schlüpfte ich sofort in das warme Lokal und bestellte ein landläufiges Mahl, im Imbissformat. Heiße Blutwurst mit Kroketten, zum Abschluss noch einen Kaffee con Leche, mit Milch. Es schmeckte seltsam, aber das war egal, Hauptsache es wärmte.
14 Uhr erreichte ich bei nieseligem Wetter die Pilgerherberge von Santo Domingo.
Hier herrschte unglaubliches Gedränge. Der Schlafsaal im oberen Stockwerk
war schon vollständig belegt und im Erdgeschoss hatte man im Aufenthaltsraum
den ganzen Fußboden mit Schlafmatten ausgelegt. Auf ihnen stapelten
sich Rucksäcke, Schlafsäcke und Jacken und zeigten so an, dass bereits
alles belegt war. Nur vor der Tür zum Innenhof gab es noch eine kleine
freie Bodenlücke und auf die legte ich meine Schlafutensilien und den
Rucksack. Eine halbe Stunde später hatte ich eine dünne Matratze
besorgt, die ich in die Lücke quetschte. Noch eine Stunde später
kamen drei Männer, räumten 3 Matrazen frei und verließen den
Raum. Blitzartig belegte ich zwei dieser Matratzen, indem ich mich auf der
einen ausstreckte und auf die andere meinen Schlafsack legte. Falls Gundula
wirklich Santo Domingo erreichen sollte, so hatte sie in dieser Herberge einen
Schlafplatz, andernfalls hätte sie noch 6 km weiter wandern müssen,
wie ich später erfahren hatte.
Nun wurde es langsam kritisch, denn immer wieder wurde der Raum nach freiem
Platz und nicht belegten Matratzen abgesucht. Ich tat unbeteiligt, obwohl
mir die enttäuschten Gesichter der Pilger im Herzen weh taten. Aber ich
wusste auch, dass es Gundula nicht viel besser ergehen würde, die mir
am Morgen gesagt hatte, dass die mehr als 30 km heute für sie an ihre
persönliche Grenze gingen. Endlich 15.30 Uhr kam sie und war natürlich
glücklich, einen Schlafplatz gefunden zu haben.
Wir kauften später gemeinsam zum Abendbrot ein und ich briet eine große Pfanne Rüherei mit Schinkenspeck. Als wir uns an den gemeinsamen Tisch setzten, duftete es wunderbar und ein älterer Pilger setzte sich zu uns und wurde unser Gast.
Ich ging am Abend zur Messe in die nahe gelegene Kathedrale. In dieser Kirche gab es eine große Besonderheit. In einem erhöht angebrachten, vergitterten Stall, hielt man Hühner. Der Legende nach sollen sie, schon gebraten, dennoch gekräht haben und retteten so das Leben eines Unschuldigen. Ich wusste, wenn der Hahn kräht, dann bedeutete das Glück. Tatsächlich, krähte der gewaltige weiße Hahn lauthals drei Mal. Das war für mich ein so befremdendes Geräusch in einer Kirche und noch während der Messe, dass ich mich verstohlen umsah. Aber die Gesichter der andächtig Betenden neben mir verzogen keine Mine.
Zum Abend fühlte ich mich gesundheitlich besser. Leider regnete es immer noch, aber morgen sollte es besser werden. In dem überfüllten Schlafsaal ging um 22 Uhr das Licht aus. Erstaunlicherweise blieb es mucksmäuschen still und ich genoss es, ein trockenes Lager gefunden zu haben, während es draußen unaufhörlich regnete.
Sonntag, 6. Mai
22.Tag Start 7.15 Uhr Santo Domingo de la Calzada, Ankunft 21 Uhr 14 km hinter Burgos, 100 km
Weg: Santo Domingo de la Calzada, Belorado, auf N120 nach Tosantos, Villafranca, auf dem Camino über die Oca Berge nach San Juan de Ortega, Atapuerca, Burgos
6 Uhr große Aufstehbewegung. Das sieht so aus: Eine halbe Stunde vor 6 Uhr raschelt es an allen Ecken und Enden, dunkle Gestalten huschen über die Matratzen, ziehen sich an. Bis einer die Nerven verliert und endlich das Licht anknippst. Die bis dahin noch Schlafenden sind nun endgültig gestört und können sich im strahlenden Lampenlicht unter Decken oder im Schlafsack anziehen. Ich ziehe mich schnell an, packe und dann ist auch Gundula auf den Beinen. Über Santo Domingo hängen dunkle Regenwolken. Noch in der Dämmerung laufen wir auf dem Camino durch die regennasse Stadt. In Granon trinken wir gemeinsam einen Kaffee, dann herzliche Verabschiedung und jeder geht seinen Weg.
Ich bleibe auf dem Camino und radle an endlosen Pilgerschlangen vorbei. "Buen Camino" ertönt es von allen Seiten. Stellenweise reißt die Wolkendecke auf, aber im Grossen und Ganzen bleibt es bedeckt. Hinter Villa Franca steigt der Camino in die Oca Berge. Ich schob mein Rad hinter der Kirche den steilen, schlammigen Hohlweg hinauf. Fast hätte ich es nicht geschafft. Je höher ich in die Ocaberge kam, die bis 1100 Meter ansteigen, desto kälter und unwirtlicher wurde es. Die Eichen waren kahl und dunkel wie im Winter. Nicht einmal die Birken hatten ihre Knospen geöffnet. Nur die Buschheide, die hier übermannsgroß wurde, leuchtete im flammenden Rosa. Mir gefiel diese raue, karge Landschaft, die rote Erde des Weges, die immergrünen Nadelbüsche zwischen denen die Heide blühte und die frostigen Buschwälder, die eher an den Norden Skandinaviens erinnerten, als an Spanien.
Nach den Oca Bergen ging es hinunter in sommerlich warme Gefilde. Vor der St Nikolas Kapelle in San Juan de Ortega rastete ich und lernte Sergio aus Spanien und Sergio aus Brasilien kennen, zwei stramme Radfahrer auf Mountain Bikes. Die Stimmung unter uns war großartig. Bei strahlendem Sonnenschein ging es noch ein Stück gemeinsam nach Atapuerca, doch dann fuhren die Beiden, die sich noch nicht über die Orca Berge gequält hatten, auf dem Camino Richtung Orbaneja. Ich blieb auf der Landstraße nach Burgos.
Burgos beeindruckte mich vom ersten Augenblick an. Die Stadt hatte etwas Vornehmes an sich und strahlte Würde aus. Ich besuchte sofort die Kathedrale, von deren Pracht mir Sergio, der Spanier erzählt hatte. Er hatte recht. Es gab einige Kapellen mit beeindruckenden Zeugnissen des Glaubens und eine Treppe, die viel Glanz und Macht symbolisierte. Ich musste mir Mühe geben, die Kathedrale als einfaches Gotteshaus zu sehen und Einkehr zu halten.
Ich wollte Burgos schon wieder verlassen, da kamen die beiden Sergios angeradelt. Wir verabredeten, uns eine Stunde später an der gleichen Stelle zu treffen. Im Touristenbüro holte ich mir meinen Stempel und wen traf ich? Nein, nicht möglich, es war die Portugiesin aus St. Jean Pied de Porte. Nun sah sie aber nicht aus wie eine Radlerin, die es von St. Jean bis hierher geschafft hatte. Nein, vornehm, gepflegt und ausgeruht trat sie in Begleitung eines älteren Herrn auf. Sie erkannte mich sofort wieder und grüßte herzlich. Dann war sie wieder weg.
Ich schaute mich noch etwas in Burgos um. Gegen 18 Uhr fuhren wir gemeinsam Richtung Stadtausgang. Sergio aus Brasilien blieb in der Pilgerherberge in Burgos. Fast wäre ich auch geblieben, aber der andere Sergio überredete mich, mit ihm weiter nach Rabe de Calzadas zu fahren. In Rabe dann die große Überraschung. Zwei Pilgerherbergen hatten geschlossen. Ich war müde, wollte nicht mehr weiter und so trennten wir uns. Hatte ich noch gehofft, in dem Nachbarort Taradajos Unterkunft zu finden, so sah ich mich gewaltig getäuscht. Der ziemlich überhebliche Herbergsvater wies mich schnöde ab. In Kälte und Wind stand ich auf der Landstraße und fragte mich: "Warum bist du nicht in Burgos geblieben?"
Hinter Las Quintanillas bog ich auf einem Feldweg rechts in die Berge und schob mein Fahrrad die kahlen windumtosten Höhen hinauf. Es war der reine Glücksfall, dass ich nach einigen Kilometern auf der Kuppe eines Berghügels ein stubengroßes Stück ebenes Land fand, auf dem ich mein Zelt aufbauen konnte. Wenn es doch nur nicht so grauenhaft kalt gewesen wäre. Ich aß ein wenig Brot, säbelte von der Wurst einige Scheiben ab und trank kaltes Wasser. Als ich im Schlafanzug nochmals ins Freie musste, kühlte mich der eisige Wind in kürzester Zeit aus. Ich zitterte furchtbar, unübersehbares Zeichen starker Unterkühlung. Die Nachricht ist kaum auszudenken: Pilger in der Hochebene Kastilliens erfroren. Das glaubt in Deutschland kein Mensch. Mein Zelt knatterte in dem sturmartigen Wind und trotz doppelten Schlafsackes spürte ich bei jedem Windstoß wie die Kälte ins Zelt drang.
Montag, 7. Mai
23. Tag Start 6.45 hinter Burgos, Ankunft 10 Uhr San Bol, 28 km
Weg: Camping hinter Burgos, auf N 120 bis Villanuova de Argano, auf 406 bis Hornillos del Camino, auf dem Camino bis San Bol
Noch im Dunklen aufgestanden und schnell das Zelt zusammen gelegt. Schiebe mein Fahrrad den Feldweg bergab, weil meine Finger vor Kälte so steif sind, dass ich den Lenker nicht halten kann. Auf der Landstraße das gleiche Problem. Ich schätze, die Temperatur liegt unter 4 Grad Celsius. In Villanuova biege ich auf eine kleine Landstraße und radle bis Hornillos. Weiter geht's auf dem Camino ins kastillische Hochland. So weit das Auge reicht ödes, baumloses Hügelland mit wogenden Grasfeldern. Links und rechts vom Camino mannshohe Steinhaufen. Wahrscheinlich haben schon viele Generationen Steine aus den Feldern gelesen.
Auf einmal ein komisches Hinweisschild auf Cafe und Quelle. Na, ein Kaffee wäre mir jetzt mehr als recht, denke ich und biege links vom Camino ab auf ein orientalisch anmutendes Steinhaus zu. Als ich es betrete, wird an einem Tisch gerade kräftig gefrühstückt. Der Wirt hält eine große Pfanne in der Hand und serviert den Leuten jeweils 2 Spiegeleier. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Der Wirt, "Ich heiße Bernd!", sieht meinen Blick und sagt, ich kann dir auch zwei machen. Ok, ich setze mich dazu, gieße mir heißen Kaffee ein, lege ein Brot auf den Teller und schon hat Bernd zwei goldgelbe Spiegeleier auf das Brot gleiten lassen. Ich fühlte mich auf Anhieb sauwohl. Nachdem ich gut gefrühstückt hatte, ging ich vor die Tür und genoss die warmen Sonnenstrahlen. Das Anwesen um die Pilgerherberge sah aus wie eine Oase. Mitten in dem Talgrund sprudelte ein Quelle, deren Wasser in ein großes blaues Bassin geleitet wurde und darum herum standen herrliche Pappeln. Jetzt wo die Sonne immer kräftiger schien, spendeten sie wohltuenden Schatten. Das wäre die richtige Stelle um meine Sachen zu waschen und zu trocknen, schoss es mir in den Sinn.
Bernd gab mir sofort einen Kessel mit warmem Wasser und eine halbe Stunde später rubbelte ich mit den Händen die Wäsche sauber. Kurze Zeit später tanzten die Stücke an der Leine im Wind. Dann baute ich das nasse Zelt auf, damit es endlich mal trocken wurde. Die Schlafsäcke lüftete ich gründlich aus und verordnete ihnen eine intensive UV Bestrahlung. Das mittlerweile über und über verstaubte Fahrrad putzte ich fein säuberlich, ölte die Kette und prüfte die Bremsen. Auf diese Weise wurde es Nachmittag und nun brauchte ich auch nicht mehr auf dem Camino weiter ziehen.
Die Vorbereitungen für das Abendessen begannen. 2 volle Eimer heiße Pellkartoffeln mussten von der Schale befreit werden. Da war jeder Freiwillige gesucht. Ach machte das Spaß, wie sie alle um die Wette pellten. Mir gegenüber der Franzose, links neben mir die Australierin, rechts neben mir ein Spanier. Die Holländerin und der ehemalige Knasti waren im Gespräch vertieft und konnten nicht helfen. Bernd und seine Französin bereiteten Salat in einer großen Waschschüssel. Wiederum andere schnitten unsere gepellten Kartoffeln in Scheiben für den Auflauf.
18 Uhr wurde es feierlich. Es kam einer vom Dorf herauf gefahren mit einer
Riesen-Korbflasche Rotwein. Wir probierten alle erst mal. Gegen 20 Uhr sollte
dann eine Party steigen. Da es draußen unverschämt kalt wurde,
setzten wir uns ins Haus und gegen 21 Uhr begann das große Essen. Kartoffelauflauf,
Thunfischsalat mit Kartoffeln und Tomaten, Gurken, Blattsalat standen zur
Auswahl. Die Weinkaraffen kreisten. Man hörte alle Sprachen, vor allem
Englisch, Spanisch, Französisch und Deutsch. Alte und Junge saßen
auf der Rundbank einträchtig beisammen. Nicht lange und eine Gitarre
spielte auf. Der Ire spielte Songs aus seiner Heimat. Laut sang er und hart
und wir summten mit. Selbstgedrehte Zigaretten wurden geraucht und so glich
der Raum bald einer Räuberhöhle. Als der Ire sein Repertoire abgespielt
hatte, übernahmen andere und spielten ihrerseits amerikanische Folksongs.
Schließlich griff sich die Australierin die Gitarre und sang Lieder
von den Camps ihrer australischen Heimat. Am Ende tanzte sie sogar und wir
klatschten, sodass sie immer schneller wurde. Bis Mitternacht wurde ausgelassen
gefeiert. Mir schmeckte der Wein immer besser, je später es wurde. Aber
plötzlich, meldeten einige an, sie wollten morgen früh 4 Uhr aufstehen
und dann war die Feier schnell beendet. Wir räumten das Geschirr nach
draußen, fegten und husch waren sie alle zwischen, in und unter den
Betten verschwunden. Ich schlief sofort ein, aber ich musste einige Male in
der Nacht nach draußen gehen. Ich hätte schwören können,
das Thermometer sei fast auf Null grad gefallen.
Dienstag, 8. Mai
24. Tag Start 7.30 Uhr San Bol, Ankunft 17 Uhr Cazadilla, 83 km
Weg: Pilgerherberge San Bol, Castellanos de Castro, auf Camino Kloster San Anton, Castrojeriz, auf Camino Tafelberg hoch, Kirche San Nicolás, auf 403 Boadilla del Camino, am Kanal entlang nach Fromista, Calzada de los Molinos, 16 km Schotterweg nach Calzadilla de la Cueza
Noch bei Dunkelheit stand ich auf und machte mich leise fertig. Der Franzose
kam von draußen rein und hob zwei Finger. Soll heißen, 2°
Celsius. Plötzlich ist auch Bernd schon auf den Beinen und macht mir
einen heißen Kaffee. Ich frage was ich schuldig bin und er antwortet:
"Gib soviel es dir wert war!" Ich reiche ihm zwei fürstliche
Scheine rüber und er meint, schön, damit hätten wir den Wein
schon bezahlt. Ja, so schlauchen sich hier die 3 Freiwilligen, Bernd, der
Franzose und die Französin durch. Jeder zahlt nur soviel wie er kann
und möchte.
Der Morgen war so eiskalt, dass ich mir jede Hand in ein Handtuch gewickelt hatte und das Fahrrad eigentlich nur schieben konnte. Viele Pfützen waren sogar mit Eis bedeckt. Der Sonnenaufgang tauchte die baumlose kastillische Hochebene, den Camino und die Steinhaufen in pastellfarbenes Rot. Es schien, als sei das nackte Land erschrocken und decke sich mit Nebel zu. Aber schon bald löste er sich auf.
Im Tal blinzelte Castellanos de Castro der Morgensonne entgegen. Ich hielt mich auf dem Camino und erfreute mich an der schönen und abwechslungsreiche Landschaft. Hier machte es Spaß zu laufen und hier kam ich auch zum ersten Mal auf die ernsthafte Idee, zu Fuß zu pilgern. Heerscharen von Pilgern mit fröhlichen Gesichtern begegneten mir. Ich stellte im Gespräch fest, dass es überwiegend Japaner waren. Alle Augenblicke wurde die Kamera gehoben und ein Bild gemacht.
Hinter Castrojeriz geht es steil einen Tafelberg hinauf. Die Sonne ist schnell aufgestiegen und brennt nun ziemlich erbarmungslos auf das karge steinige Land. Kurze Rast auf der Holzbrücke über den Rio Odrilla und dann muss ich mein Fahrrad diesen gnadenlosen Berg hinauf schieben. Die Waden schmerzen, der Schweiß läuft in Strömen und die Zunge hängt wie Leder im Mund. Schließlich ist es geschafft. Tief atmend ruhe ich auf dem Gipfel aus. Ein Deutscher kommt forsch auf mich zu und sagt: "Jetzt müsste ich mal ein Bild von Ihnen machen." Ich gebe ihm die Kamera und er fotografiert mich. Wollte er einen pustenden Radfahrer aufnehmen? Ich weiß nicht. Da sehe ich auf einmal R. Allein ohne ihren Begleiter, den sie erst in San Bol näher kennengelernt hatte. Eine moderne Lovestory. Denn man hatte schon nach einem Tag gemeinsamen Laufens erkannt, dass man besser allein auf dem Camino voranschreitet. Nach Glück sah das alles nicht aus.
Später treffe ich auf R`s neue Beziehung. Er schreitet munter aus und wir kommen sofort auf die Problematik des gemeinsamen Pilgerns zu sprechen. Er wolle ein Buch über menschliche Beziehungen schreiben, setze sich deshalb manchmal in die Landschaft und schriebe vielleicht eine Stunde. Es könne ihm auch in den Sinn kommen, zwei Stunden am Wegesrand zu meditieren. Aber man sähe sich ja heute abend oder vielleicht auch nicht. Ja, es passierten seltsame Dinge zwischen Himmel und Erde, meinte er halb ernst halb süffisant. "Machs gut, buen Camino", verabschiedete ich mich und fuhr weiter.
In Boadilla del Camino setzte ich mich in das Restaurant einer Pilgerherberge. Ein Kaffe mit Milch und ein Bocadillo mit Salami! Der Ober bediente blitzartig. Eine pikiert aussehende ältere Dame neben mir sagte, dass sie von dem Ort ziemlich enttäuscht sei. "Warum denn?" Ja, die Stimmung in dem Dorf gefalle ihr nicht. Ich wusste im ersten Augenblick nicht, was ich sagen sollte. Als ich versuchte zu erfahren, was ihre Stimmung so beeinträchtige, sagte sie nur, das es hier ganz komisch sei. Als ich aus dem Ort hinausfuhr begegnete ich einer älteren sehr alerten Französin. Wir kommen gleich ins Gespräch und sie wies mich darauf hin, dass dieser Ort etwas ganz Besonderes an sich habe. Dabei zeigte sie auf die vielen Öffnungen in den Hauswänden. Das seien Taubenverschläge. Die Menschen hier hätten wohl Brieftauben gezüchtet. Die Französin sprach zu mir, als würde ich jedes Wort verstehen. Ja, das seltsame war, ich verstand auch fast jedes Wort.
Der Weg nach Fromista führte an einem Kanal entlang. Das leicht hügelige Land war staubig und trocken. Die Sonne brannte in diesen frühen Nachmittagsstunden unbarmherzig auf die Äcker. Kaum auszudenken, müsste man hier im Sommer pilgern. Die Kirche San Martin in Fromista wird als architektonischer Leckerbissen gepriesen. Und tatsächlich, der kompakte Bau, einer der ersten romanischen Kirchen Spaniens, beeindruckte mich durch seine klaren Linien. Ich löste eine Eintrittskarte und schaute mich im Innern um. Endlich einmal keine übertriebene Marienverehrung, sondern ein schlichtes und ergreifendes Gotteshaus.
Der Jakobsweg führt nun immer häufiger eintönig und ereignislos an der Landstraße entlang. Hinter Carrion erlebt der Pilger eine der monotonsten Strecken auf dem Camino Francés. Schnurgeradeaus schneidet sich ein Schotterweg von der übelsten Sorte 16 km durch die flache und einsame Tierra de Campos. Anfangs ziehen sich noch Sümpfe am Weg entlang, später liegen nur noch staubige Felder am Wegesrand. Schotter und Kopfsteine schüttelten mich durch, sodass ich nur langsam nach Calzadilla de la Cueza fahren konnte.
Die Pilgerherberge in Calzadilla zeichnet sich durch eine Besonderheit aus. Im Innenhof befindet sich ein Schwimmbad. Ein blaues Bassin gefüllt mit glasklarem kalten Wasser. Ich quartierte mich ein, zog die Badehose an und schwamm ein paar Runden. Die Umstehenden beobachteten mich ganz genau, denn das war natürlich interessant, ob sich der Radpilger in dieses eiskalte Wasser trauen würde.
Engelbert, ein Deutscher, machte den Vorschlag gemeinsam zum Pilgeressen
zu gehen. Für 9 EUR gab es als 1. Gang einen herrlichen Thunfischsalat
und anschließend im Hauptgang gegrillte Hammelkoteletts mit Pommes.
Zum Postre wurde ein Erdbeerbecher mit Sahne gereicht. Dazu gab es Brot und
für jeden eine halbe Flasche Wein. Wir unterhielten uns angeregt und
beschlossen in Kontakt zu bleiben. Schade, dass Engelbert, plötzlich
seine Kamera suchte und in helle Aufregung versetzt war, als er sie nicht
fand. Ich litt mit ihm, denn ich träumte den Alptraum, dass meine Bilder
verloren gegangen wären.
Mittwoch, 9. Mai
25. Tag Start 7.30 Calzadilla de la Cueza, Ankunft 17 Uhr Leon, 87 km
Weg: Calzadilla de la Cueza, auf N 120 Sahagun, auf Camino nach Calzada del Coto, Pilgerquelle, Calzadilla de los Hermanillos, auf Römerweg zur N 625, Mansilla de las Mulas, auf N 601 nach Leon
Frühstücke mit Engelbert im Restaurant. Stimmung ist gut, da er seinen Photoaparat wieder gefunden hat. Adressentausch und allgemeiner Aufbruch. Ich nehme mir noch etwas Zeit. Als der Wirt mein Frühstück zum zweiten Mal kassieren will, breche ich dann doch lieber auf.
Die ganze Pilgergruppe, die vor einer halben Stunde fast geschlossen aufgebrochen war, blieb wie vom Erdboden verschwunden. Ich radelte auf dem Camino nach Sahagun. Aber ich sah sie nicht, nicht einen einzigen. Waren sie mit dem Bus nach Sahagun gefahren? Wundern würde es mich nicht, läuft doch der Camino ziemlich langweilig an der Nationalstraße 120 und der Autobahn entlang.
Für die Pilgerstrecke nach Leon bot der Reiseführer eine Alternativroute über die Trasse eines alten Römerweges an. Also bog ich ca. 4 km hinter Sahagun nach Calzada del Coto und Calzadilla de los Hermanillos ab und begab mich unter sengender Sonne auf einen staubigen Camino, bei dessen Anblick bereits Durstgefühle aufkamen. Doch kurz vor Calzadilla de los Hermanos spendete eine köstliche Quelle in einem oasenartigen Wiesengrund dem Pilger Labsal und Erbauung. Danach radelte ich 18 km geradeaus durch eintöniges, trockenes, baumloses Land. Das einzige was hier Aufmerksamkeit erforderte, war die holprige, mit kinderkopfgroßen Steinen bepflasterte Straße. Ab und zu tauchte ein Pilger auf. Meist waren die Pilger tief in Gedanken versunken und nahmen mein Rufen oder klingeln erst spät wahr. Ich stieg dann ab, auch um einen kleinen Plausch zu halten. Ein Deutscher, der von Köln losmarschiert war, hatte Frankreich mit dem Zug durchquert und gab nunVollgas, um endlich in Santiago anzukommen. Eine Österreicherin trug schwer an ihrem Rucksack und hatte furchtbaren Durst. Ich gab ihr von meinem Quellwasser zu trinken. Eine Tschechin hopste noch bei Kilometer 16 munter über die Piste und freute sich, dass in dieser Einöde plötzlich ein Mensch auftachte.
Am späten Nachmittag erreichte ich schließlich Leon. Noch nie im Leben hatte ich bewusst den Namen dieser Stadt wahr genommen. Dabei ist die Bedeutung Leons für die Christianisierung Spaniens nicht hoch genug einzuschätzen. Vom christlichen Königreich Asturien aus, dessen Hauptstadt Leon war, wurden die Mauren allmählich aus ganz Spanien vertrieben.
Ich fuhr gleich zur Pilgerherberge und quartierte mich in dem kasernenähnlichen Bau für 4 EUR Übernachtungsgebühr ein. Sanitäre Anlagen vom feinsten. Den Schlafraum muss ich mir mit drei Deutschen teilen. Na, so richtig begeistert waren die nicht. Sie sprachen perfekt köllschen Dialekt."Bei uns wird nur jelacht", stellten die drei sich mir vor, um im gleichen Moment handfest darüber zu streiten, ob sie sich erst die Kathedrale anschauten oder erst zum Essen gingen.
Die Kathedrale von Leon ist wunderschön. Leider wurde sie, kurz nachdem ich sie betreten hatte geschlossen. Von diesen kurzen Momenten war ich so ergriffen, dass ich beschloss ihr morgen früh einen Besuch abzustatten. Heute Abend genoss ich das Leben und Treiben in der Innenstadt. Die Spanier saßen in den Straßencafes bei Bier, Säften und Eis und plauderten lautstark. Mir gefiel das und ich trank auch einen Rotwein. Dann schlenderte ich allmählich zum Restaurant "Nalon", in dem ein Pilgermenue serviert wurde.
Der Wirt im Nalon sprach sofort mit mir fliessend spanisch, das heisst er
schaute mich voellig unverstaendlich an, als ich ihn fragte ob er englisch
oder französisch spreche. Also nickte ich und er fuhr fort, seine Pilgermenues
zu erklaeren. Eine Gemuesesalatplatte mit Chickenfleisch 1. Gang, Truthahnkeule
mit Pommes 2. Gang, Karamelpudding mit Sahne zum Dessert. Und was moechte
der Herr trinken? Einen Wein bitte. Im nu verschwand der Kellner wie ein Schatten
und brachte eine Flasche Rotwein im Serviettentuch. Die besagten Gaenge wurden
etwas spaeter aufgetischt. So jetzt erfuhr ich eigentlich erst, zu was ich
so alles genickt hatte. Es schmeckte mir phantastisch. Als ich fast die ganze
0,7 Flasche Wein gebechert hatte, kam mir der Verdacht, dass ich vieleicht
ueber meine Pilgerverhaeltnisse weit hinausgeschossen war. Cuanto costa¿
fragte ich den Ober zum Schluss. 6 Juro sagte er mir auf einmal in "perfektem"
Englisch. Na so etwas hatte ich schon lange nicht mehr erlebt. Ja auf dem
Camino laessts sich leben!
Tagebuch meiner Pilgerreise auf dem Jakobsweg mit dem Fahrrad von Markdorf (Bodensee) nach Santiago de Compostela Copyright Klaus Goerschel |
Teil 4
Durch Spanien auf dem Camino von den Pyrenäen bis Leon