Teil III
Auf dem Nordkalottleden
von Abisko bis zur Lappjordhütte
Schon
6 Uhr morgens verließ ich die Abisko Turiststation. Ganz besonders freute
ich mich natürlich über das schöne Wetter. Strahlender Sonnenschein
über dem Tornträsk.Den Abend vorher hatte ich noch schnell einige
Wegpunkte in das GPS eingegeben und den Kurs bis zu der lang in den See hineinragenden
Halbinsel 4 km nördlich von Björkliden bestimmt. Für alle Fälle,
will sagen bei No-Sicht 330° NW. Schon bald nach der Turiststation ging
ich aus dem Birkenwäldchen heraus und betrat das Eis des Torneträsk.
Insgesamt lag auf dem See wenig Schnee, wie ja sowieso in der ganzen Abiskoregion
und so hatte sich bei den starken Polarfrösten eine dicke Eisschicht gebildet.
Die Scooterfahrer, nutzten das und fuhren schnurgerade zu ihren Fisch- und Angelgründen.
Ich hielt mich an die Spur, die zum äußersten nördlichen Ende
des Sees führte. Ich konnte auch schon den Berggipfel, hier rechts von
der Spur, sehen, um den der Nordkalottleden nach Innset herum führen musste.
Von der Seehöhe aus war das ein Höhenunterschied von ca. 500 Metern.
Na, da stand mir ja noch einiges bevor.
Gegen
11 Uhr mittags erreicht ich das Kap der Halbinsel. Eine bizarre Eiswelt umgab
mich. Die Sonne stand zwar nicht hoch am Himmel und warf lange Schatten, aber
sie strahlte und wärmte als wäre es in den Alpen gewesen. Hier machte
ich eine längere Pause und genoss auch ganz besonders den Blick zurück
auf die feine Geometrie des Lapplandtores.
Um
Mittag herum kamen mir einige Wanderer entgegen, die mit Sicherheit von der
Lappjordhütta kamen. Ich wollte sie noch sprechen, aber sie hielten direkt
auf die Lapplandpforte zu und so gingen wir 100 Meter aneinander ohne ein Wort
zu sagen vorbei. Eine kurze Überschlagsrechnung sagte mir jedoch, dass
sie entweder sehr spät von der Lappjordhütte gestartet waren oder
sehr lange für die 3 km gebraucht hatten, obwohl es ja nur bergab ging.
Ein Blick auf den steilen Hang ließ ahnen, das wohl letzteres der Fall
war, denn solche Hänge fährt man weder mit Pulka noch mit Rucksack
direkt hinunter.
Das "Geheimnis"
war bald gelüftet, denn schon 100 bis 200 Meter nach der Bachmündung,
wurde das Gelände äußerst unruhig und schließlich kam
der Trail an einen so steilen Hang, dass von vornherein klar war, die Pulka
lässt sich hier auf keinen Fall direkt hochziehen. Der umgebende Hang
bot ebenfalls keine Möglichkeit in Serpendtinen hoch zu laufen. Also
kam nur noch die Methode "Tjäktapass" in Frage, d.h.Rucksack
aus der Pulka, ihn schultern und dann mit Rucksack und Pullka hochsteigen.
Aber nein, auch das ging nicht. Der Hang war so steil, das ich den Rucksack
nur allein und dann auch die anderen Sachen der Pulka, allein für sich
den Berg hochschleppen konnte. Ein Tribut, den ich auch bei leichterer Pulka
hätte zahlen müssen. Schlagartig war mir klar, das man da auch nicht
mit Langlaufskiern abfahren konnte und also nichts anderes übrig blieb,
als mehr oder weniger zu laufen.
Eine glatte Stunde hatte
ich gebraucht um die ersten knappen 100 Meter zu bewältigen. Doch ich
nahm es gleichmütig hin und freute mich über das phantastische Wetter,
das ich so lange vermisst hatte und die nun so schöne Sicht.
Es
ging dann weiterhin lustig bergauf. Der Trail bahnte sich in vielen Kehren und
Steilstücken sowohl bergauf als auch bergab seinen Weg durch teilweise
dichte Birkenwälder. Das wäre ohne den deutlichen Trail mit Sicherheit
schwieriger, denn in so einem Birkenwald hat man ja selten die Sicht auf das
Ganze und nur mit der Richtungsangabe des Kompasses kann man hier durch unerwartete
Creeks und Steilhänge in Schwierigkeiten kommen. Schließlich legte
ich die Skier ab und stapfte wie auf Treppen die Hänge hinauf.
Vier
Uhr nachmittags, also nach drei Stunden Aufstieg erreichte ich glücklich
und zufrieden die 3 km entfernte Lappjordhütte.Was mich in diesem Augenblick
ganz besonders freute, war die Aussicht auf frisches Quellwasser. "Vann",
norwegisch Wasser, war das Zauberwort.
Als
Unterkunft entschied ich mich für die kleinere Hütte, denn erstens
musste ich weniger heizen und zweitens waren Brennholz und Toilette unter einem
Dach. Anders als bei den schwedischen Hütten war es hier urgemütlich.
Ein
Riesenvorteil wenn man zur Brennholzhütte nicht noch 100 m laufen musste.
Immer wenn mir danach war, sägte und hackte ich die Stämme und so
war der Nachschub gewährleistet und die Hütte immer schon warm.
Voller Optimismus plante
ich, früh am nächsten Tag den Lullehacarro links zu umlaufen, stark
hoffend, das mir die Skispuren die beste Topologie weisen würden. Denn
"Kreuzwege" wie in Schweden sind in Norwegen verpönt, obwohl
ich gerade bei dieser Tour selbst erlebt habe, wie hilfreich sie bei Whiteout
und Sturm sein können, wenn man wenigsten ein bißchen von ihnen
sehen kann.
Als ich am nächsten
Morgen aus Fenster und Tür schaute, war ich betroffen. Es hatte über
Nacht 25 cm Neuschnee gegeben und sämtliche Spuren waren verdeckt und
bestenfalls nur noch zu ahnen. Zudem tauchte ein kräftiger Whiteout die
Landschaft in ein einheitlich milchiges Licht. Da war mir sofort klar, dass
ich in dieser unruhigen Landschaft nicht aufbrechen konnte.
Ich
machte es mir in der Stube gemütlich und schaute fasziniert in die märchenhafte
Landschaft. Mittags entschloss ich mich dann, den weiteren Weg zum Altevatn
wenigstens bis zu meinem nächsten Wegpunkt zu erkunden.
Mit
den Skiern sank ich sofort in dem watteförmigen Schnee tief ein. Beim Laufen
bekam ich sie auch nicht mehr aufgesetzt. Also watete ich wie durch knietiefes
Wasser den nächsten Hang hinauf.
Hinter
diesen Bäumen musste der Berg aufsteigen. Ich sah nichts, spürte aber
plötzlich an den Skiern, dass es steil bergauf ging. Also umkehren, weiter
ausholen und wieder versuchen.
Die
Sicht wurde immer schlechter. Als ich beim Aufstieg plötzlich abwärts
glitt, war sofort die Erinnerung an meinen Sturz im Padjelanta da. Um Gottes
Willen bloß nicht. Ich zog mich schnell zurück, versuchte es dennoch
mit einem noch weiteren Bogen und laborierte so den ganzen Nachmittag herum,
bis ich endlich auf ca. 800 m Höhe stand und nicht den kleinsten Strauch
oder Stein sehen konnte. Ich gab auf und fuhr die Hänge nicht ohne Risiko
hinunter. Große Freude als ich endlich meine Hütte wieder sah.
Am
nächsten Tag eitel Sonnenschein. Der Gegensatz konnte nicht größer
sein. Einmal nichts sehen, einmal alles sehen. Ich war im inneren Zwiespalt,
ob ich meine Tour fortsetzen sollte. Meine Spur von gestern war auch nicht mehr
vorhanden, weil es über Nacht geschneit hatte. Ich testete das Gelände
bis zur anderen Hütte und kam zu dem Schluss, dass ich bei der unsicheren
Gesamtwetterlage ohne Spur nicht weiterlaufen sollte. Außerdem hatte ich
im Wissen um das steilere Gelände nur soviel Nahrung wie unbedingt nötig
bei mir. Ohne Sicht konnte ich hier schnell in Zeitverzug geraten. Es rächte
sich, dass ich die Schönwettertage in Abisko mit Warterei ungenutzt verstreichen
lassen musste.
Unglaublich
wie schön Lappland sein kann.
Mittags
12 Uhr brach ich also zum Abstieg auf, in sehr gespannter Erwartung, ob ich
den Weg durch die Birkenwälder wieder finden würde.
Oft
sah ich die Spur gar nicht. Was aber gut weiter half, war die Erinnerung an
gewisse Bäume, Sträucher, Senken, Hänge und Zäune, wie hier.
An zu steilen Stellen entledigte ich mich der Skier und arbeitete mich in kleinen
Schritten den Hang hinunter. Kurz vor 2 Uhr stand ich bei strahlendem Sopnnenschein
auf dem Torneträsk.
Ganze
Familien waren mit Schutzhütten auf dem See und angelten. Als ich näher
kam, packten sie alles zusammen und verschwanden zum Ufer. Ich wunderte mich,
denn das Wetter war schön und spät war es auch noch nicht.
Hatte
ich ursprünglich vorgehabt in der Palno Hütte zu übernachten,
so gab ich diese Absicht nach Besichtigung schlicht auf und entschied mich,
15 Uhr noch nach Abisko weiter zu laufen.
Da
sah ich über den Bergen eine Wolkenwalze auf mich zukommen. Jetzt verstand
ich die Eile, mit der die Scooterfahrer den See verließen. Nun ich zog
einsam auf den vorhandenen Scooter-Spuren meine Bahn über den See. Eine
Viertelstunde später war die Hölle los. Ein Schneesturm mit feinsten
Schneekristallen machte mich fast blind, sodass ich einfach keinen Schritt mehr
gehen konnte. Der Spuk hielt jedoch nur 10 Minuten an, dann konnte ich weiter
laufen. 20 Minuten später wieder dasselbe Spiel und so ging es in immer
kürzeren Abständen weiter. Ich konnte nur noch den Hauptspuren in
der Mitte des See folgen, Abends gegen 18 Uhr setzte sich dann ruhiges Wetter
durch und es hörte auf zu schneien. Ich eilte geradewegs südlich auf
das Ufer zu. 21 Uhr erreichte ich einen sanft ansteigenden Strand. Nun zögerte
ich nicht und baute mein Zelt auf, denn die Turiststation schloß pünktlich
20.00 Uhr und dann hatte ein Wanderer, der zu spät kam, keine Chance mehr
auf eine Unterkunft.
Am
nächsten Morgen noch ein letzter Blick auf die Lapplandpforte. Ich wusste,
das war der Abschied. Ich hatte eine abenteuerliche, wettermäßig
zwar nicht ideale, aber dennoch sehr schöne Skitour durch Lappland hinter
mir und reiste wehmütig gleich nach Kiruna weiter.