Von Nasca bis Cusco
Am 18. Februar 7.30 Uhr startete ich von Nasca aus mit 30 kg Gepäck meinen Trip in die Anden. Was mich hier so richtig erwartete wusste ich nur in groben Umrissen. Die Straße von Nasca nach Cusco windet sich auf einer Länge von 740 Kilometern über mehrere bis zu 4500 Meter hohe Pässe. Wie es da oben aussah, bis zu welcher Höhe es Vegetation gab, ob die Berge zerklüftet waren, ob reißende Bäche die Felsen hinunter stürzten und ob es überhaupt genügend Wasser gab, war mir nicht von vornherein klar.

Es gibt einige Flusstäler, die sehr tief abfallen, das Tal des Chalhuanca oder die Talschlucht des heiligen Flusses Apurimac beispielsweise, wo es bis zu 2300 Meter tief hinab gehen kann. Die Strassen sollen dort nicht sehr breit sein und auf einer Seite meistens steil in eine Schlucht abfallen. Es gab genug Warnungen, die mich auf die rücksichtslose Fahrweise der Lastwagen hinwiesen und dass ich bloß aufpassen solle, nicht in die Schlucht abgedrängt zu werden. Überhaupt passierte in den Bergen allerhand, wurde ich gewarnt. Einmal hielt ein Polizeiwagen neben mir und zwei mit schweren Colts bewaffneten Gendarmen kletterten aus dem Auto. Der eine von beiden fragte mich ganz freundlich wohin ich wolle. Ich sagte nach Cusco und da nickte er und schickte fragend hinterher: "Auch nach Machu Picchu?" "Si" Da nickten sie freundlich anerkennend, sagten aber ich solle aufpassen. Ich wurde hellhörig. Ob das Gebiet hier sicher sei, fragte ich. "Jetzt ja", antwortete der eine, der wohl die Streife führte, in so zurückhaltendem Ton, dass mir sofort Zweifel aufkamen, die ich auch später nicht mehr so leicht los wurde. Fuer mich habe die Anden schon immer etwas Geheimnisvolles an sich gehabt. Wie konnte Pizarro es nur wagen mit einer Handvoll Spanier hier in diese seltsame und für ihn doch so unbekannte Bergwelt einzudringen? Wie war es nur möglich, dass 180 Spanier ein ganzes Inkareich erobern und zerstören konnten? Jetzt, wo ich selber in diese Sierra fahre, wird für mich die Geschichte immer unbegreiflicher.

Auch wenn es an der Küste sommerlich heiß und trocken war, so wusste ich doch, dass jetzt in den Anden Regenzeit war. Es kann zwei, drei Stunden regnen, aber dann scheint wieder die Sonne, stand in meinem Reiseführerbuch. Na ja, das schien mir nicht schlimm. Die Indios stellen sich während des Regens unter, empfahl mein Reiseführer weiter. Das sei nicht so schlimm.

Am ersten Tag schraubte sich die Strasse in unendlich vielen Windungen kahle öde Berge hinauf. Anfangs fragte ich einen alten Mann, wann das nächste Restaurant an der Strasse liege. "25 Kilometer musst du fahren." Kein Baum, Kein Strauch, kein Busch, kein Gras, nur kahler Stein. Na, denke ich, 2,5 Liter Wasser, müssten reichen, mehr geht einfach nicht. Nun stampfe ich bei sengender Sonne die 25 km hoch, 6 in der Stunde, und kein Laden zu sehen, aber meine Wasservorräte aufgebraucht. Ein Auto voll beladen mit Indios kommt vorbei, hält und sie steigen alle aus und fragen mich: "wo willst du hin?" "Nach Cusco." "Nach Cusco??" Ungläubiges Staunen. Ich habe Durst. Da reichen sie mir eine Flasche Inka Kola, 2 Soles. Ich bezahle und frage, wann hier das nächste Pueblo komme. In 20 Kilometer. Was? Es war 3 Uhr Nachmittags, ich war geschockt. Gegen 18 Uhr erreichte ich das 3-Hüttendorf. Ich befand mich in einer Höhe von 2500 Meter. Hier war es schon nicht mehr warm. Schlafen durfte ich in einer Schule, weil hier nur einmal in der Woche unterrichtet wurde. Den nächsten Tag ging es weiter. Nun wurden die Berge allmählich richtig schön grün, so wie bei uns in 1400 m Höhe. Die Strasse war unerbittlich. Sie wand sich bis auf 4000 Meter hoch, ohne einmal innezuhalten. Auf einmal wurde es kalt und es regnete. Ich wusste, dass ich bis zum Galera Nationalpark hinauf musste, aber den letzten Kilometer bis auf 4100 Meter, den habe ich nur noch geschoben, alle 50 m, 3 Minuten ausruhen und heftig atmen. Als ich auf der Höhe ankam war es schon dunkel. 45 Kilometer hatte ich heute geschafft und wurde von einem freundlichen Japaner, einem Wissenschaftler der Uni von Tokio empfangen. Er studiert hier die Lebensbedingungen der Vikunjas und bot mir Unterkunft an. Ich schätzte mich glücklich. Ob ich nicht Kopfschmerzen habe, fragte er. Nein, nichts, nur müde bin ich und ehrlich gesagt ich war glücklich, das ich von der Höhenkrankeit nichts spürte. Das sei hier ein ernstes Problem, sagte Oyama, der freundliche Japaner und lud mich ein, mit ihm zu Abend zu essen. So sprachen wir über Tokio, die Schwierigkeiten im Reservat Galera und die Vikunjas, während um uns herum der Wind heulte und der Regen auf die Wellblechhütte prasselte.

Allmählicher Aufstieg in die Anden
Nachtlager in der Schule
Feiernde Indios: Ein Hoch auf dein gutes Herz
Das Naturschutzgebiet Pampas Galeras 4426 m hoch

Oyama, der freundliche Japaner von der Universität Tokio studiert die Lebensbedingungen der Vikunjas.

Nachdem es gestern fast den ganzen Tag geregnet hatte, scheint heute morgen die Sonne. Laden, Restaurant und Forschungsstation in der Pampa Galeras.

Paßstraße in der Pampa Galera, Hitze und Frost zerstören den Asphalt
Der Laden und die Besitzer im 3-Hütten-Dorf
" Laden und Restaurant" im Nationalpark
Feudales Abendessen auf 4400 m Höhe: Pommes mit Hühnchen und ein Salatteller
Ein neugieriges Vikunja, es ist kleiner als ein Alpaca
Hoppla, das ist meine Straße
Nun bin ich schon seit Lima fast 3 Wochen unterwegs. Ca. 450 Kilometer nur durch die Anden. Mehrmals musste ich Pässe von 4500 Meter Höhe überwinden oder mal eben in 4300 Meter Höhe auf einem dieser Altiplanos 40 bis 60 km immer leicht bergauf, bergab radeln. Hier Essen zu bekommen oder eine Unterkunft für die Nacht zu finden, bleibt immer ein spannendes Abenteuer. Eine Nacht schlief ich auf Lamafellen auf dem Boden, die andere Nacht in einem Stall auf Brettern. Die Nacht auf den Fellen war nicht die schlechteste. Man musste sich nur an den Duft des Lamas gewöhnen. In dem Stall musste ich nachts die Tür offen lassen. Da es wie wild regnete, kamen die Mücken in den Stall. Nun, das habe ich in Kauf genommen, denn bei dieser Art Regen bin ich wahrlich froh, nicht im Zelt schlafen zu müssen.
Überhaupt leiden Peru und Bolivien zur Zeit an heftigen Regenfällen. Vorgestern ging es aus 4300 Meter Höhe in steilen Serpentinen abwärts. Der Himmel über mir von Wolken schwarz. Neben mir blitzte es und der Donner krachte. Ich raste was das Zeug hielt, hinunter in das Tal des Chalhuanca (ein Fluss). Fast war ich unten, da setzte ein fürchterlicher Hagel ein. Gott sei dank tauchte die Mautstation auf und der Chef winkte mich in seine Büroraume. Dort ließen sie sich alles von meiner Reise erzählen und boten mir eine gute Rindfleischsuppe an, die ich dankend annahm. Immerhin hatte ich schon 80 km Fahrt hinter mir. Doch als es endlich aufhörte zu hageln und "nur noch" in Strömen goss, da musste ich mich langsam auf den Weg nach Chalhuanca machen, der einzigen Stadt, in der ich eine Unterkunft für die Nacht finden konnte. 30 Kilometer, sagte der Beamte. 30 Kilometer bei dem Regen? Gibt es denn nichts in der Nähe? flehte ich fast die Leute an. Nein! Leider nicht. Also ich in dem strömenden Regen los, damit ich nicht bei Dunkelheit auf dieser Strecke fahren musste, die mit Spitzkehren, Bächen die über die Strasse liefen und steilen Felswänden, von denen das Gestein rollte, gespickt war. Es kam schlimm. Wolkenbruchartiger Regen, alle paar Kilometer Erdabbrüche, Bäche, die die Straße mit Geröll überschwemmten und aus der Höhe prasselnde Steine. Zu allen diesen Widerwärtigkeiten löste sich wegen der Holperei eine Seite meines vorderen Gepäckträgers und fast wäre die Packtasche weggeflogen. Also schnalle ich die Packtasche hinten drauf. Zweimal muss ich durch fast knietiefe Bäche waten, die über die Straße schossen. Um ehrlich zu sein, die Angst ging mit, eingeschlossen zu werden und die Nacht bei diesem Regen auf der Straße zu verbringen. Ich setzte alles daran nach Chalhuanca zu kommen und hatte es schließlich kurz vor Dunkelheit auch geschafft. Im Hotel guckten sie komisch als sie mich und meinen Zustand sahen und sagten mir, als wüsste ich davon nichts, dass hier im Augenblick die schlimmsten Regenfälle herrschten. Ich nickte nur, ging schnell in mein Zimmer, zog mich um und ließ mir eine halbe Stunde später ein Mailänder Schnitzel und 2 Tassen heißen Tee servieren. Ach tat das gut.
Blick ins Tal des Chalhuanca
Ein Unwetter kündigt sich an
Gestern abend rutschten die Hänge, polterten die Steine und die Bäche schossen knietief über die Straße. Am nächsten Tag setzten die Aufräumarbeiten ein.
"Gibt es noch ein Mailänder Schnitzel?" "Ja!"
Gestern abend prasselte der Wasserfall fast auf die ganze Straße.
Die nächste Gastwirtschaft 35 km bergauf hinter Puquio, in der ich auf zusammengestellten Bänken geschlafen habe.
Auf Alpacafellen in Maya Negro
Andendorf in 4500 m Höhe
Bergkette in geschätzten 6000 m Höhe
Die Andenstadt Puquio versinkt im Regen und im Schlamm.
Aufmerksame Betrachter, als ich mein Fahrrad über die Erdschwelle in die Herberge hieven musste
Zwischen Lucanas und Puquio 17 km Schlammstraße und Schlaglöcher.
Kleines Dorf in der Pampas Galeras
Einige freundlicher Lastwagenfahrer, boten mir an mich nach Cusco mitzunehmen, was ich stets dankend ablehnte.
Hurra, nun bin ich endlich in Cusco und ich hoffe, das "Schlimmste" überstanden zu haben. Die Andenüberquerung von Nasca bis Cusco, ca. 750 km mit Pässen bis zu 4500 Meter Höhe und vielen Altiplanos, war weiß Gott keine gemütliche Kaffeefahrt. Hatte ich anfangs viel mit Nebel, Regen, Kälte und heftigen Unwettern zu kämpfen, so lächelte mir in den letzten Tagen der Sonnengott der Inkas wohlwollend zu. Aber wie das so ist, immer ist ein tropfen Essig im Wein. Im Tal des Apurimac war es derart tropisch heiß und schwül, dass ich mich undankbarerweise wieder in größere Höhen zurückwünschte.
Dennoch erinnere ich mich gern an das so fruchtbare Tal von Limatomba. Hier reiften im satten Sonnenschein Maracujas, Mangos, Papayas. Frauen pflückten von den Kakteen die eiförmigen Spitzen, die geschält so lecker wie saftige Melonen schmecken. Tief sog ich den herrlichen Duft von blühenden Limonen ein.

Als ich dann in der brütenden Hitze mein Fahrrad nach Abancay hochschob, stieß ich in einer Straßenkurve auf einen wahren Garten Eden. Die schönsten Blumen blühten hier. Ich zückte meine Kamera und fotografierte einige besonders intensiv leuchtende Blumen. Da kam ein struppiger Junge aus einer Hütte heraus und winkte mir zu, in den Garten zu kommen. Na, das ließ ich mir nicht zweimal "sagen". Nun zeigte er mir einige Büsche, mit seltenen paprikaähnlichen Früchten, aber auch Kakteen und besondere Gewächse. Der betörende Duft blühenden Zitronenbäume erfüllte den ganzen Garten. Da kam die Mutter hinzu und fragte mich freundlich, ob ich etwas essen wolle. Bitte nein, vielen, vielen Dank, musste ich leider ablehnen (ich litt mal wieder unter Appetitlosigkeit), aber: "Könnte ich vielleicht ein Glas Wasser mit frischem Limonensaft bekommen?" Ja, sagte die Frau, verschwand im Garten und kam mit einem großen Glas frischen kühlen Wassers, das nach Limonen duftete, wieder. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie mir das in der sengenden Sonne geschmeckt hatte. Ich dankte herzlich, ließ einige Soles zurück, die man ja offiziell gar nicht wollte, über die hier aber jeder sehr dankbar war und machte mich wieder auf den Weg nach Abancay.

Ich legte oft solche kleinen Halts ein und fand die Gelegenheit mich mit den Menschen zu unterhalten. Größtenteils über meine Reise, oft aber auch über die Verhältnisse in Peru, die Armut, die Arbeit, die Schulen, den Verkauf von Konzessionen an Ausländer und den Präsidenten Garcia. Einmal fragte mich ein alter Indio, der mir lang und breit erklärt hatte, dass Toledo der beste Präsident gewesen sei, ob es noch in Deutschland tätige Hitlerleute gäbe. Dio mio, no, sagte ich. Dann fragte er mich, was ich von Peru hielte und ob ich in Peru leben könnte. Da blieb ich stumm und schluckte und wusste zum ersten Mal nicht, was ich antworten sollte.

Kleiner Ort am Chalhuanca hinter Santa Rosa und 45 km vor Abancay
Immer wieder freundliche Indigenos, die gern mit mir sprachen und sich nach meiner Reise erkundigten.
Tropische Wärme in den Tälern vor Abancay
Fruchtbarer Altiplano vor Cusco
Zwei Weltenbummler mit dem Fahrrad auf dem Weg nach Kanada
Oft gab es einen kleinen Plausch auf der Staße oder auch am Gemüsestand
Am 2. März erreiche ich glücklich die sagenumwobene Inka Hauptstadt Cusco.
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