Es gibt einige Flusstäler, die sehr tief abfallen, das Tal des Chalhuanca oder die Talschlucht des heiligen Flusses Apurimac beispielsweise, wo es bis zu 2300 Meter tief hinab gehen kann. Die Strassen sollen dort nicht sehr breit sein und auf einer Seite meistens steil in eine Schlucht abfallen. Es gab genug Warnungen, die mich auf die rücksichtslose Fahrweise der Lastwagen hinwiesen und dass ich bloß aufpassen solle, nicht in die Schlucht abgedrängt zu werden. Überhaupt passierte in den Bergen allerhand, wurde ich gewarnt. Einmal hielt ein Polizeiwagen neben mir und zwei mit schweren Colts bewaffneten Gendarmen kletterten aus dem Auto. Der eine von beiden fragte mich ganz freundlich wohin ich wolle. Ich sagte nach Cusco und da nickte er und schickte fragend hinterher: "Auch nach Machu Picchu?" "Si" Da nickten sie freundlich anerkennend, sagten aber ich solle aufpassen. Ich wurde hellhörig. Ob das Gebiet hier sicher sei, fragte ich. "Jetzt ja", antwortete der eine, der wohl die Streife führte, in so zurückhaltendem Ton, dass mir sofort Zweifel aufkamen, die ich auch später nicht mehr so leicht los wurde. Fuer mich habe die Anden schon immer etwas Geheimnisvolles an sich gehabt. Wie konnte Pizarro es nur wagen mit einer Handvoll Spanier hier in diese seltsame und für ihn doch so unbekannte Bergwelt einzudringen? Wie war es nur möglich, dass 180 Spanier ein ganzes Inkareich erobern und zerstören konnten? Jetzt, wo ich selber in diese Sierra fahre, wird für mich die Geschichte immer unbegreiflicher.
Auch wenn es an der Küste sommerlich heiß und trocken war, so wusste ich doch, dass jetzt in den Anden Regenzeit war. Es kann zwei, drei Stunden regnen, aber dann scheint wieder die Sonne, stand in meinem Reiseführerbuch. Na ja, das schien mir nicht schlimm. Die Indios stellen sich während des Regens unter, empfahl mein Reiseführer weiter. Das sei nicht so schlimm.
Am ersten Tag schraubte sich die Strasse in unendlich vielen Windungen kahle öde Berge hinauf. Anfangs fragte ich einen alten Mann, wann das nächste Restaurant an der Strasse liege. "25 Kilometer musst du fahren." Kein Baum, Kein Strauch, kein Busch, kein Gras, nur kahler Stein. Na, denke ich, 2,5 Liter Wasser, müssten reichen, mehr geht einfach nicht. Nun stampfe ich bei sengender Sonne die 25 km hoch, 6 in der Stunde, und kein Laden zu sehen, aber meine Wasservorräte aufgebraucht. Ein Auto voll beladen mit Indios kommt vorbei, hält und sie steigen alle aus und fragen mich: "wo willst du hin?" "Nach Cusco." "Nach Cusco??" Ungläubiges Staunen. Ich habe Durst. Da reichen sie mir eine Flasche Inka Kola, 2 Soles. Ich bezahle und frage, wann hier das nächste Pueblo komme. In 20 Kilometer. Was? Es war 3 Uhr Nachmittags, ich war geschockt. Gegen 18 Uhr erreichte ich das 3-Hüttendorf. Ich befand mich in einer Höhe von 2500 Meter. Hier war es schon nicht mehr warm. Schlafen durfte ich in einer Schule, weil hier nur einmal in der Woche unterrichtet wurde. Den nächsten Tag ging es weiter. Nun wurden die Berge allmählich richtig schön grün, so wie bei uns in 1400 m Höhe. Die Strasse war unerbittlich. Sie wand sich bis auf 4000 Meter hoch, ohne einmal innezuhalten. Auf einmal wurde es kalt und es regnete. Ich wusste, dass ich bis zum Galera Nationalpark hinauf musste, aber den letzten Kilometer bis auf 4100 Meter, den habe ich nur noch geschoben, alle 50 m, 3 Minuten ausruhen und heftig atmen. Als ich auf der Höhe ankam war es schon dunkel. 45 Kilometer hatte ich heute geschafft und wurde von einem freundlichen Japaner, einem Wissenschaftler der Uni von Tokio empfangen. Er studiert hier die Lebensbedingungen der Vikunjas und bot mir Unterkunft an. Ich schätzte mich glücklich. Ob ich nicht Kopfschmerzen habe, fragte er. Nein, nichts, nur müde bin ich und ehrlich gesagt ich war glücklich, das ich von der Höhenkrankeit nichts spürte. Das sei hier ein ernstes Problem, sagte Oyama, der freundliche Japaner und lud mich ein, mit ihm zu Abend zu essen. So sprachen wir über Tokio, die Schwierigkeiten im Reservat Galera und die Vikunjas, während um uns herum der Wind heulte und der Regen auf die Wellblechhütte prasselte.
Oyama, der freundliche Japaner von der Universität Tokio studiert die Lebensbedingungen der Vikunjas.
Nachdem es gestern fast den ganzen Tag geregnet hatte, scheint heute morgen die Sonne. Laden, Restaurant und Forschungsstation in der Pampa Galeras.
Als ich dann in der brütenden Hitze mein Fahrrad nach Abancay hochschob, stieß ich in einer Straßenkurve auf einen wahren Garten Eden. Die schönsten Blumen blühten hier. Ich zückte meine Kamera und fotografierte einige besonders intensiv leuchtende Blumen. Da kam ein struppiger Junge aus einer Hütte heraus und winkte mir zu, in den Garten zu kommen. Na, das ließ ich mir nicht zweimal "sagen". Nun zeigte er mir einige Büsche, mit seltenen paprikaähnlichen Früchten, aber auch Kakteen und besondere Gewächse. Der betörende Duft blühenden Zitronenbäume erfüllte den ganzen Garten. Da kam die Mutter hinzu und fragte mich freundlich, ob ich etwas essen wolle. Bitte nein, vielen, vielen Dank, musste ich leider ablehnen (ich litt mal wieder unter Appetitlosigkeit), aber: "Könnte ich vielleicht ein Glas Wasser mit frischem Limonensaft bekommen?" Ja, sagte die Frau, verschwand im Garten und kam mit einem großen Glas frischen kühlen Wassers, das nach Limonen duftete, wieder. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie mir das in der sengenden Sonne geschmeckt hatte. Ich dankte herzlich, ließ einige Soles zurück, die man ja offiziell gar nicht wollte, über die hier aber jeder sehr dankbar war und machte mich wieder auf den Weg nach Abancay.
Ich legte oft solche kleinen Halts ein und fand die Gelegenheit mich mit den Menschen zu unterhalten. Größtenteils über meine Reise, oft aber auch über die Verhältnisse in Peru, die Armut, die Arbeit, die Schulen, den Verkauf von Konzessionen an Ausländer und den Präsidenten Garcia. Einmal fragte mich ein alter Indio, der mir lang und breit erklärt hatte, dass Toledo der beste Präsident gewesen sei, ob es noch in Deutschland tätige Hitlerleute gäbe. Dio mio, no, sagte ich. Dann fragte er mich, was ich von Peru hielte und ob ich in Peru leben könnte. Da blieb ich stumm und schluckte und wusste zum ersten Mal nicht, was ich antworten sollte.