Von Lima nach Nasca

Nach einem fast 24 stündigen Flug bin ich nun endlich in Lima gelandet, diesem brodelnden Hexenkessel, in dem sich fast 10 Millionen Menschen in unbändiger Vitalität um die Fleischtöpfe der Zivilisation drängen. Dabei ist die alte Kolonialstadt Lima, 1535 von Pizzarro gegründet und als "Stadt der Könige" über Jahrhunderte der bedeutendste Ort Südamerikas, schon von seiner Lage her kein glückliches Konstrukt. Hochgradig erdbebengefährdet, gelegen in einer der trockensten Wüsten, trotzdem bedroht durch Überschwemmungen des aus den Anden hinunter schießenden Rio Rimac, erbaut auf den Klippen des Pazifik, sodass es nicht einmal einen natürlichen Hafen besitzt, ist diese Stadt dennoch Hoffnung und Glück der Peruaner, vor allem auch der indigenen Bevölkerung.
Lima, die 10 Millionen Metropole
Lima rauscht und wogt. Nun bin ich schon einige Tage in Lima und musste jeden Tag feststellen, dass hier alles so unbändig und endlos, so rasend und maßlos ist. Im Zentrum rund um die Plaza de Armas, die Plaza San Martin, an der Kathedrale, am ehemaligen Kloster San Francisco, vor den gewaltigen spanischen Palästen drängten sich die Schaulustigen wie die Eilenden, die Touristen wie die Einheimischen. Ich bin in den Museen gewesen und habe mir die Kirchen angeschaut, ich bin durch schmutzige stinkende Vorstädte und Strassen gegangen und dann wieder durch die Viertel der vornehmen Gesellschaft in Miraflores, mit feinen grünenden Parks und blühenden Blumen.
Als ich mir dann im 6. Stock des Museo de la Nacion eine Ausstellung über den Kampf der Guerilleros gegen die peruanische Junta in den Jahren von 1980 bis 2000 besuchte, da wurde mir klar, das der Kampf irgend wann wieder aufflammen wird, sollte der Unterschied zwischen arm und reich in diesem Land noch weiter auseinander klaffen. Ich war erschüttert. Wer kann sich denn in Europa so richtig vorstellen, wenn Inkadörfer in den Anden in 4000 Meter Höhe gegen die Weißen und die staatliche Militärgewalt kämpfen. Wo die einen kaum noch Luft in dieser Höhe bekommen, da nutzen die anderen ihre Überlegenheit und lauern und metzeln. Nach all diesen Zeugnissen der Gewalt überraschte es mich nicht, als ich in einem ärmlichen Trödelladen ein Buch von Che Guevara fand. Eine Kopie seines Orginal kubanischen Tagebuches aus Bolivien. Das habe ich der alten Indianerin abgekauft. Ob sie verstand, dass das für mich etwas ganz besonderes war?

Bin nun im Hotel La Casa Nostra in Miraflores und kuriere mich von einer langwierigen Magendarm-Verstimmung aus. Yasmin, eine nette Studentin, die hervorragend Deutsch spricht, gibt mir täglich 2 Stunden Spanischunterricht. Auch Hausaufgaben brummt sie mir auf. Naja, was hätte ich bei meinem Zustand anders machen wollen. Außerdem bin ich hervorragend motiviert, denn die Sprache des Landes wenigstens ein wenig zu sprechen, gehört mit zu meiner Trekker-Ethik. Allen widrigen Magen- Darm Katharren zum Trotz, bin ich nämlich fest entschlossen, möglichst bald aufzubrechen und nach Südperu zu radeln. Aber das sollte noch 2 Wochen dauern.
In den letzten Tagen habe ich noch einige Kirchen und Museen besucht, wobei mir die Fahrten mit dem Bus in das Zentrum von Lima in unvergesslicher Erinnerung bleiben werden. Nicht so schöne Busse wie bei uns, nein, kleine, verbeulte, klappernde Blechkisten, in denen man so eng sitzt, dass man das Herz der Nachbarin schlagen fühlt. Das laute Geklapper wird von scheppernden Rumba- und Sambamusik übertönt, die auf der ganzen einstündigen Fahrt nicht für 3 Sekunden stoppt. Außerdem zieht es hier fürchterlich. Die Leute reißen die Fenster auf, aber die dicke hustende und prustende Frau neben mir, quescht mich an die nackte Blechkarosse des Busses und schiebt das Fenster wieder zu. Ständig muss ich aufpassen, welche Strasse der Kontrolleur ankündigt.
Schon seit einer viertel Stunde schreit er: "Arrequipa, Arrequipa, Arrequipa, ..." und rollt mit der Zunge das rrrrr vorne gegen die Zaehne, so wie es die norddeutschen Jungs machen, wenn sie auf dem Lastwagen frrrrrrrrrrische OAAAAle verkaufen.

Noch vor dem Plaza San Martin steige ich entnervt aus. Nach ein paar Häuserblöcken gehe ich in eine dieser seltsamen Einkaufspassagen, wo Einmann-Druckmaschinenbetriebe neben Lebensmittelshops arbeiten, wo neben unappetitlichen Fischbistros Schuhmacher schwarze Sohlen auf die Schuhe klopfen.
Da passiert es. Blitzschnell schießt ein Mann auf mich zu, klemmt meinen Arm ein und reißt an meiner Armbanduhr herum. Verdammt! Ich ziehe meinen Arm samt dem Mann an mich heran und stoße ihn dann mit einem gewaltigen Ruck wieder von mir. Da fliegt der gute Kerl lang auf den Boden, erhebt sich wie von der Tarantel gestochen und rennt weg. Ich stehe ungläubig da, als ginge mich das gar nichts an, zittre aber am ganzen Leib. So kam es, dass ich langsam davon überzeugt war, diese Stadt verlassen zu müssen.

Im Zentrum von Lima
Yasmin, die nette Studentin, die sich alle Mühe gab, mir Spanisch beizubringen.
Abendstimmung am Pazifik
Parks und Blumen in Miraflores
Kinderarbeit
Bild aus der Zeit des Guerilla Kampfes

Nun bin ich schon 3 Tage unterwegs. 3 Tage in sengender Sonne auf der PanAmericana, dieser Magistrale, die von Alaska bis Feuerland verläuft. Ein erhebendes Gefühl nach all den Tagen des lähmenden Wartens auf Besserung in Lima. Zwar ist die PanAm auch kein Zuckerschlecken, denn ständig brausen Trucks aus allen Herren Länder an mir vorbei. Hinter Lima, war die Sache beinahe lebensgefährlich. Aber das habe ich überstanden. Nun hupt jeder dritte Lastwagen und die Fahrer beugen sich aus dem Fenster und winken wie närrisch. Ja, so ist das, sie fahren in die Ferne und träumen von der großen Freiheit. So ein voll bepackter Radler auf der PanAm weckt die Phantasie. Kommt er von Alaska, will er nach Feuerland? Wie wär´s denn, wenn ich auch mal auf Tour gehe?

Aber es halten auch einige Autos neben mir und fragen mich, wo ich herkomme, wo ich hin wolle, ob ich jetzt nach Chile fahre. Nach Chile? Nein, ich fahre "en los Andes". Kleine Enttäuschung auf den Gesichtern. Chile, das ist für Peruaner ein wenig das gelobte Land, ein Nachbar, der immer schon der Bessere und Stärkere war. Doch die Peruaner sind stolz auf ihr Land. So arm sie sind, so nationalbewusst sind sie. Gestern Abend habe ich mir in Canete auf der Strasse einen Pisco Sour mixen lassen. Der Peruaner erklärte mir lang und breit, der Pisco sei ein peruanisches Getränk und nicht ein chilenisches. Als ich zustimmte war ich sein Freund. Er holte einen Hocker setzte ihn auf die dunkle Strasse und bat mich zu sitzen. Dann erzählte er weiter, dass Peru sich das nicht gefallen ließe von Chile. Der Pisco bleibe ein peruanisches Getränk. Als ich ostentativ zustimmte, obwohl ich den Streit gar nicht kannte, festigte sich unsere Freundschaft immer mehr. Ein anderer Peruaner sah unser herzliche Gemeinsamkeit und setzte sich zu uns. Er sang und schlug mir den Händen den Takt an die Kiste auf der er saß. Romantik pur. Das sei ein altes peruanische Volkslied. Ich war beeindruckt und seelig vom Pïsco und von Peru.

Auf der PanAmericana nach Süden

Am nächsten Tag ging es wieder durch die Wüste. Das hieß bergauf, bergab durch sengend heißes Land zu fahren. Kein Baum, der Schatten spendete, keine Station, um Wasser zu schöpfen, kein Busch, der das Auge erfreute, nicht das geringste Gräschen, das im Winde wehte, nein nur Sand und Steine um mich herum und das graue Band der Straße soweit das Auge reichte. Im Osten flimmerten die Anden, sie waren weit weg. Am frühen Nachmittag traf ich erleichtert in Chincha Alta ein. Da Plötzlich rief es hinter mir: "Klaus!" Ein junger Mann kam auf mich zu und lud mich in das nahe Restaurant ein. Ich hätte gestern mit seiner Verlobten und ihren Bekannten gesprochen. Ach ja, kann sein, da haben mehrere Autos neben mir gehalten und mich gefragt. "Komm rein!" Da saßen sie alle und wir begrüßten uns mit großem Hallo.
"Du fährst nach Cusco?" "Ja, aber erst nach Arequipa." "Also ich rate ab, auf der PanAm nach Arequipa zu fahren, das geht nur durch die Pampa, sagte einer. "Fahr doch von Nasca direkt nach Cusco." Das saß, denn so richtig mochte ich die öde Wüste nicht. Nach Nasca in die Anden hinauf zu fahren, das reizte mich sofort außerordentlich.

Chincha Alta, Pisco und Ica, diese Städte sind von dem großen Erdbeben letzten Jahres besonders hart getroffen worden. Allerorten liegen noch zusammengestürzte Mauern herum, ganze Häuserblöcke sind zu Bauschutthalden geworden und manche Straße ist heute noch nicht befahrbar. Aber das Leben pulsiert. Vor allem in und um die großen Märkte herum wird schier alles verkauft was man sich denken kann. Das Obst scheint mir von besonders guter Qualität zu sein. Es kommt aus den fruchtbaren Küstenebenen, die von den Flüssen der Anden bewässert werden. Hier stehen an der PanAm oft kleine überdachte Stände, in denen Kinder oder Frauen Mangos, Weintrauben, Äpfel, Kartoffeln, Melonen , Bananen und was sonst noch verkaufen. "Von wo kommen denn die Weintrauben?" frage ich. Die junge Frau sagt, sie kämen aus Cañete. "Und wo kommen die Äpfel her?" "Die wachsen hier" sagt sie und zeigt in der Runde herum. Wo sie wohnte, frage ich und sie zeigt auf ein kleines schmuckes Haus inmitten einer Baumplantage. "Und wo kommt das Wasser her?" "Aus dem Fluß." Und der kommt natürlich aus den Anden und wird in kleine Bewässerungsgräben geleitet. So versuchte ich an den Verkaufsständen holpernd und mehr schlecht als recht kleine Gespräche mit meinen neu erworbenen Spanischkenntnissen anzuwenden

Ein Pisco Sour auf der Straße gemixt
Man kann es sich kaum vorstellen. Neben dem kalten, fischreichen Ozean eine der trockensten Wüsten der Erde. Die Luft flimmert vor der andinischen Bergwelt.
In Paracas habe ich mich gleich wohl gefühlt. Es ist ein liebenswerter kleiner Touristenort direkt am Pazifik gelegen. Hier buchte ich sofort einen Bootsausflug zu den weltberühmten Islas Balletas, auf denen Pinguine, Kormorane, Tölpel, Pelikane und jede Menge Möwen nisten. Hier wurde seinerzeit der berühmte Guanodünger gewonnen. Aber auch Seelöwen bevölkern die Felsstrände zu Tausenden. Unser kleines offenes Boot schaukelte gewaltig in der Dünung des Ozeans. Wir waren so nah wie möglich an die Brandung herangefahren und hörten nun das ohrenbetäubende Kreischen der Vögel. Die Seelöwen robbten den Fels hinauf und die Pelikane reckten ihre großen Schnäbel in die Höhe. Von der Kolonie wehte ein beißender Gestank zu uns herüber. Die Gicht sprühte durch die Luft. Trotzdem hatte jeder seinen Fotoapparat gezückt und wir photographierten schier alles was wir sahen. Auf der Rückfahrt herrschte ausgelassene Stimmung und als wir noch Delphine bei ihrem Sprung aus dem Wasser beobachten konnten, da hatte wohl jeder das wunderbare Gefühle, Zeuge einer noch intakten Natur gewesen zu sein.

Schon während meiner endlosen Fahrt durch öde bergige Wüstenlandschaft dachte ich oft über die Linien von Nasca nach. Maria Reische, eine Deutsche, die sich intensiv mit der Deutung dieser Linien befasst hatte, genießt hier in der Region höchstes Ansehen. Auf einen Flug über die Linien verzichtete ich von vornherein. Aber ich schaute mir die Linien genau aus der Nähe an. Man hatte einfach den Boden auf einer Breite bis zu einem ¾ Meter und einer Länge bis zu einigen hundert Metern vom Schutt befreit. Die Baukunst konnte nicht schlichter sein. Was aber die Interpretation dieser Linien angeht, da bin ich jedoch anderer Meinung als Daeniken, der sie als Signale an die Außerirdischen verstanden hat. Nun war ich auf das Geheimnisvolle alter Inka-Kulturen eingestimmt und freute mich schon auf die Anden, auf Cusco und auf Machu Picchu. Aber bis dahin sollte es noch ein weiter Weg sein.

Lustiges Beisammensein mit Ricardo, seiner Verlobten im roten Pullover und deren Bekannten
Fluß aus den Anden
An diesen Obstständen habe ich mich gerne mit den Verkäufern unterhalten
Schönes Leben in Paracas mit netten Tischbekanntschaften
Ein Ausflug zu den Islas Balletas, einer Inselgruppe im kalten Humboldtstrom, die von riesigen Vogelkolonien bevölkert wird. Hier erntete man früher den berühmten Guano Dünger.
Die weltberühmten Linien von Nasca. Hier "die Hände", gesehen vom Beobachtungsturm an der Straße.
Abendstimmung in Ica
Große und kleine Oasen
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Percy, Klaus und Mariano, il capo della "Nostra Casa"
Percy und Maria, die guten Geister des Hotels "Nostra Casa"
Behausungen der Armen, Wellblechhütten auf einer Sanddüne
Auf der PanAm, heiß, trocken und windig
Hin und wieder treibt der Wind den Sand auch auf die Straße.
Badestrand in Paracas
Im offenen Boot zu den Islas Baletas. Hinter mir Reda und Jessica mit denen es sehr lustig war.
Ein Seelöwe
Hier fühlte ich mich nach "Wild West" versetzt.
Kleiner Ausflug in die Wüste
Eine breitere Linie, die sich kilometerlang durch die Geröllebene zieht.
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