3 Wochen allein auf Skiern mit Pulka und Zelt
auf dem Kungsleden und durch den Padjelanta
Träume
Ja, vielleicht war ich doch ein wenig crazy, hatte zu viele Abenteuerbücher
von Expeditionen zum Nord- und Südpol gelesen. Mich faszinierten Schneelandschaften
schon immer. Ich träumte gerne von glitzerndem Schnee in gleißender
Sonne, von weiten Talebenen, wo die Wipfel der Fichten und Kiefern im roten
Abendsonnenschein erstrahlen, von Wäldern mit weißen Birken, die
im Mondschein zu leuchten beginnen.
Mich reizte Lappland, genauer gesagt schwedisch Lappland, um den Sarek und
Padjelanta Nationalpark herum. Diese Bergregionen, mit bis zu 1500 Meter hohen
Gipfeln im ewigen Schnee, weitgeschwungenen Hochebenen und schroff eingeschnittenen
Flußtälern, sind nur dünn besiedelt. Durch sie ziehen noch
heute die Sameh, die Ureinwohner Lapplands mit ihren halbgezähmten Rentierherden.
Darüber wollte ich mehr wissen. So begann ich von einer Winterwanderung
durch Lappland zu träumen.
Autofahrt nach Lappland
Endlich, am Sonntag den 29. Februar 2004, war ich nach 10-wöchiger Vorbereitung
abfahrbereit. Mein Landroover war mit Nahrungsmitteln, Skiausrüstung,
Zelt, Schlafsack und warme Wanderkleidung bis unter das Dach vollgestopft.
Und trotzdem hatte ich noch ein kleines Schlafplätzchen freigehalten,
damit ich mich unterwegs auf der langen Reise nach Lappland schnell einmal
"aufs Ohr legen" konnte.
Ab gings durch Deutschland bis nach Fehmarn und mit der Fähre nach Schweden.
Nahe Göteborg stieß ich auf den Inlandsvägen 45, der am Vänernsee
vorbei auf nicht immer direktem Wege durch das Landesinnere Schwedens hoch
in den Norden führt. Drei Tage fuhr ich durch romantisch verschneite
Winterlandschaften hügelauf und hügelab, vorbei an vereisten Seen
und endlosen Wäldern. Es herrschte in Schweden strenger Winter und so
erreichte ich am 4. März bei frostigen Temperaturen um -28° Celsius
die Sameh-Stadt Jokkmok.
Vorbereitung in Kvikkjokk
Nachdem ich mich in der 3500 Seelen-Stadt Jokkmok umgesehen, einigen Einkäufe in den gut ausgerüsteten Supermärkten getätigt und mir das hochinteressante Samenmuseum angesehen hatte, machte ich mich auf den 35 km langen Weg nach Kvikkjokk. Hier wollte ich meine Winterausrüstung auf Brauchbarkeit testen und mich an ein Leben unter freiem Himmel im Zelt gewöhnen. Denn mein gesamtes Material angefangen vom Benzinkocher, der Nahrung, dem Schlafsack, dem Zelt, der Kleidung und sogar den Skiern erlebte hier den Ersteinsatz. Auch musste ich den Umgang mit der Kälte lernen. Falls sich die Ausrüstung nicht bewähren sollte oder ich dem Leben in der Kälte nicht gewachsen war, so hatte ich die Möglichkeit mich in der Fjällstation von Kvikkjokk einzuquartieren und einen Skiurlaub vor Ort zu machen. Nach knapp einer Woche in großer Kälte und ohne unliebsame Überraschungen wurde ich immer mutiger. Ich vertraute auf meine Ausrüstung und Trockennahrung und plante nach Rücksprache mit Björn, einem heimischen Schweden, mit dem ich mich angefreundet hatte, eine Tour erst einmal nur bis zur Fjällstation Saltoluokta. Mein einziges Problem war das Gewicht meiner Pulka. Sie wog bestimmt 85 Kilogramm. Erfahrene Skiwanderer in Lappland warnten mich immer wieder vor den langen und teilweise steilen Anstiegen in die Fjälls. Ich kämpfte um jedes Kilo, aber im Nachhinein lässt sich sagen, dass ich aufgrund meiner mangelnden Erfahrung den Kampf oft verloren habe.
Auf dem Kungsleden bis zur Fjällstation Saltoluokta
Sofort nach dem Parkplatz von Kvikkjokk geht es auf dem Kungsleden, der hier
gespurt und markiert ist, durch einen langgestreckten Fichtenwald 200 Höhenmeter
aufwärts. Keine Frage, ich musste das Letzte geben, um meine Pulka den
Berg hinauf zu ziehen. Auf einem kleinen See baute ich in Ufernähe mein
grünes Tunnelzelt auf und genoss die winterliche Ruhe und herrliche Einsamkeit.
So hatte ich es mir immer vorgestellt und war in diesen Augenblicken wunschlos
glücklich. Am nächsten Tag marschierte ich flott über den Stuor
See bis zum Tjakktjajaure, an dessen nördlichen Ende die Portestugan
Hütte liegt. Der Hüttenwirt winkte mir zu und lud mich ein, in der
Hütte zu übernachten. Eine große Verlockung, der ich nicht
widerstehen konnte. In der Hütte ging es kurzweilig zu. Man hörte
mit Spannung was jeder über seine Tour zu erzählen hatte und sah
neugierig was sich der Einzelne zu Essen machte.
Am nächsten Tag führte der Trail erst einmal 5 Kilometer durch buckligen
Wald, bis er sich am Südufer des Stausees Tjakktjajaure entlang wand.
Die Märzen-Sonne strahlte und der Himmel leuchtete in dunklem Azurblau.
Es herrschten milde Kältegrade um -6°Celsius. Um zur Aktsehütte
zu gelangen, musste ich das unsichere Eis des Tjakktjajaure überqueren.
Der Wasserspiegel und mit ihm die Eisdecke waren um ca. 8 Meter gefallen.
Vorsichtig zog ich meine Pulka über Brüche, Risse und Schollen.
Ich baute mein Zelt auf der gegenüberliegenden Uferseite auf und sah
spät am Abend die wabernden Flammen des Nordlichtes über den Himmel
zucken.
Nach einer kalten Nacht im Zelt war der Aufenthalt in der Aktsehütte mit dem freundlichen Wirt, der uns seine gefangenen Fische schenkte, eine wundersame Erholung. Zu einer Kurzwanderung zum Skjerfe konnte sich keiner entschließen. Am nächsten Tag ginge es schon gleich nach der Aktsehütte sehr steil bergan und mir blieb nichts anderes übrig, als meine Pulka auszuladen und oben am Berg wieder neu zu packen. Ein kraftzehrendes und zeitraubendes Manöver, dass mich endgültig überzeugte, die Pulka in der nächsten Hütte zu erleichtern.
Nachdem ich in der Sitojaure Hütte wegen starken Schneefalls einen Rasttag eingelegt und dort 20 % meiner Nahrungsvorräte aussortiert hatte, erreichte ich am nächsten Tag nach einem kräftigen 20 km Marsch in Nebel und Schnee die Saltuluokta Fjällstation, eines der komfortabelsten Hütten meiner gesamten Skiwanderung. Hier hat man dann auch eine Mobilfunkverbindung nach Deutschland.
Der Aufstieg bei Vakkotavare
Von der Saltoluokta Fjällstation musste ich in einem weiten Bogen über
den Stausee Langas nach Kebnats laufen, um mit dem Bus zur Vakkotavare Hütte
zu fahren. Hinter der Hütte, die unmittelbar an der Straße liegt,
steigt der Kungsleden auf 1 ½ Kilometer Länge fast 300 Meter steil
bergauf zu der Hochebene des Sjöfallet Nationalparks. Meine beladene
Pulka konnte ich hier auf keinen Fall hochziehen. Also musste ich meine Packsäcke
den Berg hinauf tragen. Der Schnee lag hüfttief. Der Kungsleden bestand
hier nicht mehr aus einer mit Schneescootern festgefahrenen Spur, sondern
war nur notdürftig mit Bändchen und Stecken markiert. Einen vollen
Tag schleppte ich meine Sachen anfangs bei Sonnenschein und im Laufe des Nachmittags
bei dichtem Schneefall auf die Höhe hinauf und baute in einer Senke mein
Zelt auf. Am nächsten Morgen waren meine Skischuhe vereist und sämtliche
Spuren zugeschneit. Markierungen waren weit und breit nicht zu sehen. Als
es auch noch heftig zu schneien begann, entschloss ich mich, wieder zur Vakkotavare
Hütte hinab zu steigen.
Am darauf folgenden Tag besserte sich das Wetter und ich lief nur mit Skiern
und Rucksack, also ohne Pulka, bei herrlichstem Sonnenschein über das
gleißende Fjäll zur 16 km entfernten Teusajaure Hütte. Es
war eine wunderschöne Wanderung, auch wenn auf dem Rückweg der Wind
sturmartig über die Höhe brauste. Mit dem Bus fuhr ich noch am gleichen
Abend von Vakkatovare nach Ritsem.
Durch den Padjelanta Nationalpark
Ursprünglich hatte ich geplant, meine Tour von Ritsem aus auf dem Kungsleden nach Abisco fortzusetzen. Aber man warnte mich, dass der Trail ab Sitasjaure bis kurz vor Sälka nicht gespurt sein könnte. So entschloss ich mich zu einer Rundtour über den Padjelanta Leden zurück nach Kvikkjokk. In Ritsem übernachtete ich in einem sehr komfortablen, ferngeheizten Zimmer mit warmer Dusche. Draußen tobte ein blizzardähnlicher Sturm und jagte Schneefahnen über den Akkajaure See, sodass ich den Akka, den heiligen Berg der Samen, der auf der gegenüberliegenden Seite des Sees am Rande des Sarek Nationalparks liegt, nur für wenige Augenblicke zu sehen bekam. Nach einem Ruhetag startete ich bei stürmischem Wind meine Skiwanderung über das Eis des Akkajaure. Dick eingemummt mit einer Balaclava und Riesenfäustlingen zog ich die Pulka, die ich nun nochmals erleichtert hatte, gegen den Sturm gebeugt über das zum Teil glatte Eis. Alle 50 Meter waren Markierungsstangen gepflanzt, die den Trail an brüchigen Eisstellen vorbei leiteten.
Im Padjelanta Nationalpark wurde es dann wirklich einsam. Ab und zu gab es einen gespurten Trail, der vor allem Samehdörfer und Fischereistellen ansteuerte. Im Fjäll abseits des Akkajaure hatte sich der Sturm wieder gelegt. Die Märzensonne strahlte mit ihrer ganzen Kraft und tauchte das Land in blendendes Weiß. Trotzdem war es bitter kalt. Des Nachts sank die Temperatur auf nahe -20° C. Die Sterne funkelten prächtig und ein weißgrünliches Nordlicht flammte wie Lanzen, Wolken und gezackte Kronen am Firmament auf.
Je weiter ich in den Padjelanta hineinkam, desto grandioser wurden die Berge
und das Fjäll. Wenn es irgendwie möglich war, übernachtete
ich in den Hütten. Manchmal verlor ich den Trail, weil ihn der Wind zugeweht
hatte und verlor viel Zeit. Dann baute ich mein Zelt auf und brühte mir
von meinem selbst hergestellten Pemmikan eine heiße Suppe auf. Es stärkte
wunderbar. Auf meinem Marsch über das Fjäll zur Tuottar Hütte
verlor ich leider in dem sturmähnlichen Wind, der die ohnehin schwachen
Spuren zudeckte oder wegblies, die Orientierung. Als ich durch einen Zufall
wieder auf eine Spur stieß, ging es gleich mit der Pulka abenteuerlich
steil bergab. Nach einigen Stürzen entdeckte ich schließlich in
der späten Dämmerung die Tarraluopal Hütte. 30 Kilometern war
ich größtenteils gegen den starken Wind marschiert. Damit hatte
ich heute zwei Tagesetappen geschafft.
Am nächsten Tag wechselte das Wetter. Das Tal des Tarra wurde von dichten
Nebelbänken gedrückt und später setzte sogar noch heftiger
Schneefall ein. Ohne es zu bemerken, marschierte ich mehrmals über den
verschneiten Tarra Fluss. Die 1:100000 er Karten leisteten zur Detailorientierung
so gut wie gar nichts. Also lief ich geradewegs nach dem Kompass durch tiefen
Schnee hügelauf und hügelab und schließlich durch dichten
Wald. Meine Pulka ließ sich durch den Neuschnee immer schwerer ziehen.
Hatte ich anfangs im Padjelanta noch gehofft, hin und wieder Menschen zu begegnen,
so hatte ich diese Hoffnung mittlerweile aufgegeben. Einmal nur, es war in
der Nähe von Arasluokta, begegneten mir 4 Österreicher. Sie waren
mit Rucksäcken und Touringski unterwegs und bestaunten meinen Schlitten.
Ich musste mich bis zur Sommalappa mühsam über die Berge und durch hohen Schnee kämpfen. Auf dem Weg zur Tarrakaise Hütte folgte ich meistenteils dem gefrorenen Tarra. Doch kurz bevor der Tarra in den See mündet, geschah das Unfassbare, ich brach in den Fluss ein. Unter einer dicken Schneedecke hatte sich keine tragende Eisschicht gebildet.Ggeistesgegenwärtig befreite ich mich von Pulka, Rucksack und Skiern bevor ich tiefer in der Flut versank. Dann wälzte ich mich über die dicke Schneedecke auf das feste Eis zurück. In der Tarrakaise Hütte wärmte ich mich wieder ordentlich auf und den nächsten Tag ging es bei schönstem Wetter durch tief verschneite Fichtenwälder zurück nach Kvikkjokk.
Drei Wochen war ich unterwegs gewesen und hatte ca. 280 Kilometer auf dem Kungsleden und dem Padjelantaleden mit Skiern und Pulka zurückgelegt. Es war eine wunderbare Tour. Die Schönheit der Fjäll-Landschaft schwedisch Lapplands, die Einsamkeit im Padjelanta Nationalpark verbunden mit den sportlichen Herausforderungen des Trail und das Outdoor-Leben unter freiem Himmel auch im Winter, werden ich mich bestimmt noch lange gefangen halten. In diesem Sinne hat sich für mich mit dieser Wanderung ein Traum erfüllt.
Klaus Goerschel
Von dieser Reise liegt ein ausführlicher Bericht vor.