In Arequipa und Wanderung in die Colca Schlucht
Also für mich war Arequipa die schönste Stadt Perus. Gestern Abend 8 Uhr lief mein Bus von Puno kommend auf dem Bahnhof ein und schon eine Stunde später spazierte ich über die Plaza de Armas und genoss das Lichtermeer an den Bögen und Arkaden der angestrahlten Kolonialgebäude und die gewaltige angeleuchtete Seitenfront der Kathedrale. Nach dem eher schlichten Puno spürte ich hier eine Athmosphäre der Eleganz und der Lebenslust, denn auf dem Platz promenierten viele Menschen und die Restaurants waren gut besucht. Eine farbenprächtig gekleidete Indiofrau überredete mich zu einem Essen in einem Balkonrestaurant und so hatte ich einen wunderschönen Blick über die Plaza. Ganz nebenbei gesagt, die mit kleinen Fleischstücken gefüllten Tomaten schmeckten mir sehr lecker.

Am nächsten Tag schien die Sonne und nun sah man erst recht die prächtigen weißen Kirchen, Klöster und Herrenhäuser um die Plaza und der näheren Innenstadt, alle im schönsten spanischen Kolonialstil erbaut. Was mich aber am meisten beeindruckte, waren die schneebedeckten Berggipfel vor allem des Chachani, von denen Arequipa, das in einem ca. 2300 Meter hohen Tal liegt umgeben ist. Kurzärmlig und leicht bekleidet flanierte ich durch die Stadt und schaute mir begierig die Kathedrale, die ehemalige Klosterstadt des Katharinenordens, die Kirche des Heiligen Franziskus und viel stilvolle Innenhöfe herrschaftlicher Häuser an. Bis mich dann ein Agent ansprach und fragte, ob ich schon die Colca Schlucht gesehen. "Nein, aber ich habe es vorgehabt", sagte ich. Er bat mich in sein Büro und als ich wieder herauskam, hatte ich für den nächsten Tag einen zweitägigen Ausflug in die Colca Schlucht gebucht. Ich freute mich riesig und hoffte inständig einmal den legendären Kondor im Flug beobachten zu können.

Wer denkt nicht an das Lied "El Condor Pasa" wenn er von den Anden und von Peru hört. Ich hatte ja im Stillen gehofft, bei meiner langen Fahrt durch die Anden von Nasca nach Cusco, einmal einen Condor in den Lüften schweben zu sehen. Wie oft schon hatte ich an diesen geierartigen Vogel gedacht und mit ihm von Einsamkeit und Freiheit in den wilden Anden geträumt. Auf meinem Trip von Cusco nach Puno über den Altiplano hatte ich nicht die Hoffnung diesen majestätischen Vogel sehen zu können. Denn er liebt die zerklüfteten Berge, die tiefen Schluchten und die steilen Hänge und unwirtlichen Felsen der andinischen Bergwelt. Erst in der weiteren Umgebung von Arequipa gab es die Chance, einmal einen Condor sehen zu können. Denn dort, genauer gesagt in der Colca Schlucht und dort wiederum an dem steilen Bergvorsprung "Kreuz des Condors" soll man ihn mit ziemlicher Sicherheit sehen können, den Condor, den Vogel, der für Peru so bedeutsam ist.

Die Schlucht war fast eine Tagesreise mit dem Bus von Arequipa. entfernt. In Cabanaconda, von wo aus ein steiler Trail in die 1200 Meter tiefe Schlucht der Welt hinunterführt, schloss ich zu einer kleinen Gruppe von 2 Dänen und ihrem Guide auf. Jeder von uns wollte die wilde Schönheit des Canyon kennenlernen und erleben, aber jeder hoffte auch, den Condor zwischen den steilen Bergen kreisen zu sehen. Morgens 7.00 Uhr stiegen wir in den Canyon ein. Ein schmaler Pfad wand sich an dem steil zu Tal fallenden Hang in vielen Windungen durch Fels und trockenes Sandgestein hinunter zum Rio Colca. Hohe Kakteen, harte Gräser, Büsche mit lorbeerähnlichen Blättern und stacheliges Kraut, blaue und rote Blumen säumten den Trail. Auch konnte man auf dem sandigen und staubigen Pfad, der hin und wieder auch ausgesetzt war, leicht ausrutschen. Es war tropisch warm, die Sonne brannte auf die Hänge der Schlucht. Ohne Mütze und Sonnencreme Faktor 50 eine nicht ungefährliche Sache. Immer wieder schauten wir nach oben in das Himmelsblau, ob nicht vielleicht doch ein Condor über uns schwebte. Doch wir sahen nichts. Gegen Mittag hatten wir die 1200 Meter hinunter zum Rio geschafft. Gelbtrüb wälzte sich der Fluss durch Felsengen und über Steinbarrieren. Weiter ging´s über eine Hängebrücke auf der anderen Seite der Schlucht 600 Meter zu einem Dorf hinauf. Dort gab es eine kleine Mahlzeit, die über das Vegetarische, was hier wuchs nicht hinaus ging. Später probierten wir noch einige frisch gepflückte Tunas, das sind Fruchtspitzen von Kakteen, die geschält ein wenig melonenartig schmecken. Der Saft war natürlich in der Hitze hochwillkommen. Später zogen Wolken auf und unsere Blicke in die Höhe wurden immer seltener. Da auf einmal zeigte unser Guide in die Wolken. Er hatte einen Condor erspäht. Aber wir rieben uns die Augen und sahen nichts. Der Däne mit dem Wikingerbart meinte, er glaube etwas zu sehen. Ja, die peruanischen Augen waren wohl besser als unsere.
Wir wanderten noch den ganzen Tag bergauf, bergab durch die Schlucht bis zu einem baumbewachsenen Platz, den sie Oasis nannten. Ausgedörrt und ausgehungert nahmen wir unsere schmale Kost entgegen. Geschlafen wurde in Bambushütten. Morgen früh 2 Uhr nachts war Wecken. Dann hieß es, die Schlucht wieder hinaufzusteigen nach Cabanaconda. Bis Mitternacht tat ich kein Auge zu. Der Fluss rauschte und auch sonst gab es allerhand fremdartige Laute. Ich dachte an den Condor und so halb zwischen Träumen und Wachen sah ich ihn im Geiste durch die Lüfte schweben.
Abmarsch war 3 Uhr und es ging gleich unbarmherzig steil bergan. Der Mond streute sein kaltes Licht auf den Trail und den Fels. Man sah etwas, aber nur undeutlich. Alle paar Schritte rutschte jemand aus. Dann wurde der Berg lebendig. Berittene Pferde und Maulesel überholten uns. Es war gespenstisch, wie sie sich auf dem steilen Trail am Abgrund zur Schlucht an uns vorbeidrückten. Plötzlich hockten da einige Indios und kochten über einem kleinen Holzfeuer Matetee. Na, das kam gerade recht. Nachts in der Kälte heißen Matetee schlürfen, das kann unendlich wohltuend sein. Endlich 6.30 Morgens hatten wir den Rand der Schlucht erreicht. Der Morgen graute.
Nach einem kurzen Frühstück im Dorf bestiegen wir einen Bus, der uns Richtung Chivay bringen sollte. Unser Guide sagte, am Kreuz des Condor steigen wir aus. "Das ist unsere letzte Chance den Condor zu sehen. Aber später als 10 Uhr dürfen wir nicht dort sein. Dann hat sich der Condor zurückgezogen. Ok, also stiegen wir 7 Uhr morgens in den Bus. Grosse Vorfreude. Der Bus war brechend voll beladen und holperte über Schotterwege den Berg hinauf. Da plötzlich ein harter Ruck mit trockenem Knall. Der Bus stand. Wir waren schockiert. Was ist los? Achsbruch, alles aussteigen! Ich konnte es nicht glauben, aber es war so. Wir stiegen aus, das Gepäck der Leute wurde vollständig ausgeladen und nun standen die Menschen auf der Strasse und diskutierten das Ereignis. Ich dachte nur, "Ade Condor." Enttäuscht atmete ich tief die kalte Luft des Morgens ein. Nach einer Stunde zermürbenden Wartens sahen wir, wie ein Bus aus Cabanacona auf dem Schotterweg den Berg hinauf ächzte. Neue Hoffnung. Leider war der Bus schon von Menschen halb voll. Nun drängelten sich alle in diesen Bus. Keiner wollte zurück bleiben. Als der Bus starten wollte, rüttelte er sich mit Mühe auf der Sandpiste in Fahrt. Irgendwie schaffte er es dann den Berg hinauf. Vor jeder Delle blieb er fast stehen und holperte durch die Schlaglöcher. Ich befürchtete das Schlimmste. Jedoch nach einer knappen dreiviertel Stunde erreichte er endlich das Kreuz des Condors. Allgemeines Aufatmen. Wir rannten zum Rand der Schlucht hinüber. Der Guide rief noch, in 20 Minuten müsst ihr wieder hier sein. Ok, Ok! Viel zu wenig Zeit.

Mit gezücktem Photoapparat schaute ich in den Canyon. Erst sah ich nichts, doch dann schwebte plötzlich ein Condor nicht weit von uns entfernt über der Schlucht. Die Flügel ausgestreckt, glitt er in weiten Kreisen an den Hängen vorbei und schwebte in das unergründliche Blau der Berge. Es war die reine Majestät. Ich war hingerissen und drückte auf den Auslöser meines Apparates so oft ich nur konnte. El Condor, der Vogel, der den Perunaern die Freiheit ueber die spanische Kolonisation gebracht habe soll. El Condor, der den jungen spanischen Bullen geschlagen haben soll, er ist das Symbol der Freiheit und Unabhängigkeit Perus.

Hier beginnt das Colca Tal
Cabanaconda am Morgen
Alex, unser Guide, hat uns von der Besiedlung der Colca Schlucht erzählt und wie abgeschieden die Menschen hier noch heute lebten.
Die Colca Schlucht, 6 Stunden mit dem Bus von Arequipa entfernt, ist eine der beliebtesten Ausflugsziele von Peru. Hier kann man mit etwas Glück, noch den Condor in den Lüften schweben sehen.
Der Condor wird hier ganz besonders verehrt.
Da sind wir uns einig: Es war eine ganz tolle Wanderung.
Die beiden Dänen und Alex, der Guide
Brücke über den Rio Colca
Köstliche Rast im Garten Eden mit Limonade und Tuna Früchten. Die roten Knollen an den Kakteen müssen allerdings sauber geschält werden.
Es waren auch einige Indios auf dem Pfad
Man hielt in dem kleinen Dorf auch Schweine
Mitten in der Nacht Verkauf auf dem schmalen Gebrigstrail
Plötzlich krachte es und der Bus blieb stehen. Alles austeigen und warten bis irgendwann mal der nächste Bus kommt.
Viel Trubel am Kreuz des Condors
Majestätisch schwebt er in die Schlucht hinab.
Unglaublich, nicht weit von uns zieht dieser Condor im Aufwind der Berghänge seine Kreise.
Der 5000 m hohe Pass auf dem Weg zwischen Chivay und Arequipa.
Der 5822 m hohe Vulkankegel des Misti
In der Ferne der Berg Chachani, ein Sechstausender
Nach dem Ausflug großer Hunger in einem vornehmen Lokal
zurück zur Eingangsseite
Wieder zurück in Arequipa
Mit dem Bus nachts nach Lima gereist.
Die Klosteranlage Santa Catalina, eine kleine abgeschlossenen Stadt
Prächtige zweistöckige Arkaden an der Plaza Armas.
In ein wahres Lichtermeer getaucht, die große Kathedrale
Der Chachani, gesehen von der Plaza de Armas
Reich geschmückte Fassade der Compania Kirche
Backstube des Klosters
Eine der vielen Prozessionen durch Arequipa
Wo die Kirche feiert, ist das Militär nicht weit.
Schlichter romanischer Kirchenbau
Indianische Kunst an christlichen Säulen
Erholung im Park auf der Plaza de Armas
Manchmal war der Trail leicht ausgesetzt
Die saftigen Tunas kommen in der Mittagshitze gerade recht
Der Campingplatz Oasis eine wahre Oase
Kleine Zwischenrast beim Aufstieg nach Cabanaconda
Nach einer komfortablen Fahrt durch die Nacht mit der wohl berühmtesten Busgesellschaft Perus bin ich nun wohlbehalten in Lima gelandet, der Stadt, die auch der Ausgangspunkt meiner Reise war. Nun erst wurde mir bewusst, dass ich eine große Reise hinter mir hatte, dass der Abschied von Peru unmittelbar bevorstand.

Mit dem Fahrrad durch Peru, genauer gesagt durch Südperu. Ja, es war eine großartige Reise mit sehr vielen Erlebnissen, vor allem als ich durch die Anden fuhr. Dort habe ich ein Stück wahrhaftiges Peru erlebt. Nicht nur das touristische Machu-Picchu-Peru, sondern auch das ganz gewöhnliche Peru abseits der großen weltbekannten Routen. Hier haben mich die Menschen freundlich aufgenommen. Ich musste in Ställen schlafen, Toiletten gab es nicht und Wasser war nur begrenzt da. Für einen Augenblick habe ich habe ich so gelebt, wie es für die Indigenos in den Anden ganz normal ist. Es hat mich bereichert. Auch wenn die Verhältnisse noch so einfach waren, die Indios waren meist fröhlich und haben schnell und häufig gelacht. Wenn ich dann am nächsten Tag weiter durch die Anden fuhr, auf irgendeinem Altiplano oder in ein Tal hinunter schoss oder mich über einen Pass quälen musste, dann musste ich oft an die Lebensumständen der Menschen hier denken.

Ganz besonders hat mich die geradezu grandiose Natur der Anden in ihren Bann geschlagen. Es ist alles so gewaltig hier, so extrem, in seinen Ausmaßen scheinbar so unbegrenzt. Von Meereshöhe auf 4500 Meter hoch, an steilstem Hang 1500 Meter in die Tiefe, 30- 40 km geradeaus auf dem Altiplano, 200 Meter hohe Sanddünen, 60 km nur durch die Pampa, kalte Nächte, heiße Tage, feuchte tropische Täler, trockene tundrahafte Höhen, Nebel und wolkenbruchartiger Regen, gleißender Sonnenschein und flimmernde Luft. Das muss man lieben, das ist ein Teil Perus, von dem man nicht lassen kann. Diese Reise war wahrlich keine Fun-Reise, aber ich flog von Lima auch mit einem weinenden Auge fort, denn ein Stück Peru werde ich fortan in mir tragen.

KLaus Goerschel