Am nächsten Tag schien die Sonne und nun sah man erst recht die prächtigen
weißen Kirchen, Klöster und Herrenhäuser um die Plaza und
der näheren Innenstadt, alle im schönsten spanischen Kolonialstil
erbaut. Was mich aber am meisten beeindruckte, waren die schneebedeckten Berggipfel
vor allem des Chachani, von denen Arequipa, das in einem ca. 2300 Meter hohen
Tal liegt umgeben ist. Kurzärmlig und leicht bekleidet flanierte ich
durch die Stadt und schaute mir begierig die Kathedrale, die ehemalige Klosterstadt
des Katharinenordens, die Kirche des Heiligen Franziskus und viel stilvolle
Innenhöfe herrschaftlicher Häuser an. Bis mich dann ein Agent ansprach
und fragte, ob ich schon die Colca Schlucht gesehen. "Nein, aber ich
habe es vorgehabt", sagte ich. Er bat mich in sein Büro und als
ich wieder herauskam, hatte ich für den nächsten Tag einen zweitägigen
Ausflug in die Colca Schlucht gebucht. Ich freute mich riesig und hoffte inständig
einmal den legendären Kondor im Flug beobachten zu können.
Die Schlucht war fast eine Tagesreise mit dem Bus von Arequipa. entfernt.
In Cabanaconda, von wo aus ein steiler Trail in die 1200 Meter tiefe Schlucht
der Welt hinunterführt, schloss ich zu einer kleinen Gruppe von 2 Dänen
und ihrem Guide auf. Jeder von uns wollte die wilde Schönheit des Canyon
kennenlernen und erleben, aber jeder hoffte auch, den Condor zwischen den
steilen Bergen kreisen zu sehen. Morgens 7.00 Uhr stiegen wir in den Canyon
ein. Ein schmaler Pfad wand sich an dem steil zu Tal fallenden Hang in vielen
Windungen durch Fels und trockenes Sandgestein hinunter zum Rio Colca. Hohe
Kakteen, harte Gräser, Büsche mit lorbeerähnlichen Blättern
und stacheliges Kraut, blaue und rote Blumen säumten den Trail. Auch
konnte man auf dem sandigen und staubigen Pfad, der hin und wieder auch ausgesetzt
war, leicht ausrutschen. Es war tropisch warm, die Sonne brannte auf die Hänge
der Schlucht. Ohne Mütze und Sonnencreme Faktor 50 eine nicht ungefährliche
Sache. Immer wieder schauten wir nach oben in das Himmelsblau, ob nicht vielleicht
doch ein Condor über uns schwebte. Doch wir sahen nichts. Gegen Mittag
hatten wir die 1200 Meter hinunter zum Rio geschafft. Gelbtrüb wälzte
sich der Fluss durch Felsengen und über Steinbarrieren. Weiter ging´s
über eine Hängebrücke auf der anderen Seite der Schlucht 600
Meter zu einem Dorf hinauf. Dort gab es eine kleine Mahlzeit, die über
das Vegetarische, was hier wuchs nicht hinaus ging. Später probierten
wir noch einige frisch gepflückte Tunas, das sind Fruchtspitzen von Kakteen,
die geschält ein wenig melonenartig schmecken. Der Saft war natürlich
in der Hitze hochwillkommen. Später zogen Wolken auf und unsere Blicke
in die Höhe wurden immer seltener. Da auf einmal zeigte unser Guide in
die Wolken. Er hatte einen Condor erspäht. Aber wir rieben uns die Augen
und sahen nichts. Der Däne mit dem Wikingerbart meinte, er glaube etwas
zu sehen. Ja, die peruanischen Augen waren wohl besser als unsere.
Wir wanderten noch den ganzen Tag bergauf, bergab durch die Schlucht bis zu
einem baumbewachsenen Platz, den sie Oasis nannten. Ausgedörrt und ausgehungert
nahmen wir unsere schmale Kost entgegen. Geschlafen wurde in Bambushütten.
Morgen früh 2 Uhr nachts war Wecken. Dann hieß es, die Schlucht
wieder hinaufzusteigen nach Cabanaconda. Bis Mitternacht tat ich kein Auge
zu. Der Fluss rauschte und auch sonst gab es allerhand fremdartige Laute.
Ich dachte an den Condor und so halb zwischen Träumen und Wachen sah
ich ihn im Geiste durch die Lüfte schweben.
Abmarsch war 3 Uhr und es ging gleich unbarmherzig steil bergan. Der Mond
streute sein kaltes Licht auf den Trail und den Fels. Man sah etwas, aber
nur undeutlich. Alle paar Schritte rutschte jemand aus. Dann wurde der Berg
lebendig. Berittene Pferde und Maulesel überholten uns. Es war gespenstisch,
wie sie sich auf dem steilen Trail am Abgrund zur Schlucht an uns vorbeidrückten.
Plötzlich hockten da einige Indios und kochten über einem kleinen
Holzfeuer Matetee. Na, das kam gerade recht. Nachts in der Kälte heißen
Matetee schlürfen, das kann unendlich wohltuend sein. Endlich 6.30 Morgens
hatten wir den Rand der Schlucht erreicht. Der Morgen graute.
Nach einem kurzen Frühstück im Dorf bestiegen wir einen Bus, der
uns Richtung Chivay bringen sollte. Unser Guide sagte, am Kreuz des Condor
steigen wir aus. "Das ist unsere letzte Chance den Condor zu sehen. Aber
später als 10 Uhr dürfen wir nicht dort sein. Dann hat sich der
Condor zurückgezogen. Ok, also stiegen wir 7 Uhr morgens in den Bus.
Grosse Vorfreude. Der Bus war brechend voll beladen und holperte über
Schotterwege den Berg hinauf. Da plötzlich ein harter Ruck mit trockenem
Knall. Der Bus stand. Wir waren schockiert. Was ist los? Achsbruch, alles
aussteigen! Ich konnte es nicht glauben, aber es war so. Wir stiegen aus,
das Gepäck der Leute wurde vollständig ausgeladen und nun standen
die Menschen auf der Strasse und diskutierten das Ereignis. Ich dachte nur,
"Ade Condor." Enttäuscht atmete ich tief die kalte Luft des
Morgens ein. Nach einer Stunde zermürbenden Wartens sahen wir, wie ein
Bus aus Cabanacona auf dem Schotterweg den Berg hinauf ächzte. Neue Hoffnung.
Leider war der Bus schon von Menschen halb voll. Nun drängelten sich
alle in diesen Bus. Keiner wollte zurück bleiben. Als der Bus starten
wollte, rüttelte er sich mit Mühe auf der Sandpiste in Fahrt. Irgendwie
schaffte er es dann den Berg hinauf. Vor jeder Delle blieb er fast stehen
und holperte durch die Schlaglöcher. Ich befürchtete das Schlimmste.
Jedoch nach einer knappen dreiviertel Stunde erreichte er endlich das Kreuz
des Condors. Allgemeines Aufatmen. Wir rannten zum Rand der Schlucht hinüber.
Der Guide rief noch, in 20 Minuten müsst ihr wieder hier sein. Ok, Ok!
Viel zu wenig Zeit.
Mit gezücktem Photoapparat schaute ich in den Canyon. Erst sah ich nichts,
doch dann schwebte plötzlich ein Condor nicht weit von uns entfernt über
der Schlucht. Die Flügel ausgestreckt, glitt er in weiten Kreisen an
den Hängen vorbei und schwebte in das unergründliche Blau der Berge.
Es war die reine Majestät. Ich war hingerissen und drückte auf den
Auslöser meines Apparates so oft ich nur konnte. El Condor, der Vogel,
der den Perunaern die Freiheit ueber die spanische Kolonisation gebracht habe
soll. El Condor, der den jungen spanischen Bullen geschlagen haben soll, er
ist das Symbol der Freiheit und Unabhängigkeit Perus.
Mit dem Fahrrad durch Peru, genauer gesagt durch Südperu. Ja, es war eine großartige Reise mit sehr vielen Erlebnissen, vor allem als ich durch die Anden fuhr. Dort habe ich ein Stück wahrhaftiges Peru erlebt. Nicht nur das touristische Machu-Picchu-Peru, sondern auch das ganz gewöhnliche Peru abseits der großen weltbekannten Routen. Hier haben mich die Menschen freundlich aufgenommen. Ich musste in Ställen schlafen, Toiletten gab es nicht und Wasser war nur begrenzt da. Für einen Augenblick habe ich habe ich so gelebt, wie es für die Indigenos in den Anden ganz normal ist. Es hat mich bereichert. Auch wenn die Verhältnisse noch so einfach waren, die Indios waren meist fröhlich und haben schnell und häufig gelacht. Wenn ich dann am nächsten Tag weiter durch die Anden fuhr, auf irgendeinem Altiplano oder in ein Tal hinunter schoss oder mich über einen Pass quälen musste, dann musste ich oft an die Lebensumständen der Menschen hier denken.
Ganz besonders hat mich die geradezu grandiose Natur der Anden in ihren Bann geschlagen. Es ist alles so gewaltig hier, so extrem, in seinen Ausmaßen scheinbar so unbegrenzt. Von Meereshöhe auf 4500 Meter hoch, an steilstem Hang 1500 Meter in die Tiefe, 30- 40 km geradeaus auf dem Altiplano, 200 Meter hohe Sanddünen, 60 km nur durch die Pampa, kalte Nächte, heiße Tage, feuchte tropische Täler, trockene tundrahafte Höhen, Nebel und wolkenbruchartiger Regen, gleißender Sonnenschein und flimmernde Luft. Das muss man lieben, das ist ein Teil Perus, von dem man nicht lassen kann. Diese Reise war wahrlich keine Fun-Reise, aber ich flog von Lima auch mit einem weinenden Auge fort, denn ein Stück Peru werde ich fortan in mir tragen.
KLaus Goerschel